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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Methodenlehre III. Hauptst.
ctiv, entweder historisch oder rational. Die historische
Erkentniß ist cognitio ex datis, die rationale aber cogni-
tio ex principiis
. Eine Erkentniß mag ursprünglich ge-
geben seyn, woher sie wolle, so ist sie doch bey dem, der
sie besizt, historisch, wenn er nur in dem Grade und
so viel erkent, als ihm anderwerts gegeben worden, es
mag dieses ihm nun durch unmittelbare Erfahrung oder
Erzählung, oder auch Belehrung (allgemeiner Erkentnisse)
gegeben seyn. Daher hat der, welcher ein System der
Philosophie z. B. das wolfische, eigentlich gelernt hat, ob
er gleich alle Grundsätze, Erklärungen und Beweise, zu-
samt der Eintheilung des ganzen Lehrgebäudes im Kopf
hätte und alles an den Fingern abzählen könte, doch keine
andere als vollständige historische Erkentniß der wolfischen
Philosophie; er weis und urtheilt nur so viel, als ihm ge-
geben war. Streitet ihm eine Definition, so weis er nicht,
wo er eine andere hernehmen soll. Er bildete sich nach
fremder Vernunft, aber das nachbildende Vermögen ist
nicht das erzeugende, d. i. das Erkentniß entsprang bey
ihm nicht aus Vernunft und, ob es gleich, obiectiv, aller-
dings ein Vernunfterkentniß war, so ist es doch, subie-
ctiv blos historisch. Er hat gut gefaßt und behalten,
d. i. gelernet und ist ein Gipsabdruck von einem lebenden
Menschen. Vernunfterkentnisse, die es obiectiv sind,
(d. i. zu anfangs nur aus der eigenen Vernunft des Men-
schen entspringen können) dürfen nur denn allein auch sub-
iectiv diesen Nahmen führen, wenn sie aus allgemeinen

Quel-

Methodenlehre III. Hauptſt.
ctiv, entweder hiſtoriſch oder rational. Die hiſtoriſche
Erkentniß iſt cognitio ex datis, die rationale aber cogni-
tio ex principiis
. Eine Erkentniß mag urſpruͤnglich ge-
geben ſeyn, woher ſie wolle, ſo iſt ſie doch bey dem, der
ſie beſizt, hiſtoriſch, wenn er nur in dem Grade und
ſo viel erkent, als ihm anderwerts gegeben worden, es
mag dieſes ihm nun durch unmittelbare Erfahrung oder
Erzaͤhlung, oder auch Belehrung (allgemeiner Erkentniſſe)
gegeben ſeyn. Daher hat der, welcher ein Syſtem der
Philoſophie z. B. das wolfiſche, eigentlich gelernt hat, ob
er gleich alle Grundſaͤtze, Erklaͤrungen und Beweiſe, zu-
ſamt der Eintheilung des ganzen Lehrgebaͤudes im Kopf
haͤtte und alles an den Fingern abzaͤhlen koͤnte, doch keine
andere als vollſtaͤndige hiſtoriſche Erkentniß der wolfiſchen
Philoſophie; er weis und urtheilt nur ſo viel, als ihm ge-
geben war. Streitet ihm eine Definition, ſo weis er nicht,
wo er eine andere hernehmen ſoll. Er bildete ſich nach
fremder Vernunft, aber das nachbildende Vermoͤgen iſt
nicht das erzeugende, d. i. das Erkentniß entſprang bey
ihm nicht aus Vernunft und, ob es gleich, obiectiv, aller-
dings ein Vernunfterkentniß war, ſo iſt es doch, ſubie-
ctiv blos hiſtoriſch. Er hat gut gefaßt und behalten,
d. i. gelernet und iſt ein Gipsabdruck von einem lebenden
Menſchen. Vernunfterkentniſſe, die es obiectiv ſind,
(d. i. zu anfangs nur aus der eigenen Vernunft des Men-
ſchen entſpringen koͤnnen) duͤrfen nur denn allein auch ſub-
iectiv dieſen Nahmen fuͤhren, wenn ſie aus allgemeinen

Quel-
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[836/0866] Methodenlehre III. Hauptſt. ctiv, entweder hiſtoriſch oder rational. Die hiſtoriſche Erkentniß iſt cognitio ex datis, die rationale aber cogni- tio ex principiis. Eine Erkentniß mag urſpruͤnglich ge- geben ſeyn, woher ſie wolle, ſo iſt ſie doch bey dem, der ſie beſizt, hiſtoriſch, wenn er nur in dem Grade und ſo viel erkent, als ihm anderwerts gegeben worden, es mag dieſes ihm nun durch unmittelbare Erfahrung oder Erzaͤhlung, oder auch Belehrung (allgemeiner Erkentniſſe) gegeben ſeyn. Daher hat der, welcher ein Syſtem der Philoſophie z. B. das wolfiſche, eigentlich gelernt hat, ob er gleich alle Grundſaͤtze, Erklaͤrungen und Beweiſe, zu- ſamt der Eintheilung des ganzen Lehrgebaͤudes im Kopf haͤtte und alles an den Fingern abzaͤhlen koͤnte, doch keine andere als vollſtaͤndige hiſtoriſche Erkentniß der wolfiſchen Philoſophie; er weis und urtheilt nur ſo viel, als ihm ge- geben war. Streitet ihm eine Definition, ſo weis er nicht, wo er eine andere hernehmen ſoll. Er bildete ſich nach fremder Vernunft, aber das nachbildende Vermoͤgen iſt nicht das erzeugende, d. i. das Erkentniß entſprang bey ihm nicht aus Vernunft und, ob es gleich, obiectiv, aller- dings ein Vernunfterkentniß war, ſo iſt es doch, ſubie- ctiv blos hiſtoriſch. Er hat gut gefaßt und behalten, d. i. gelernet und iſt ein Gipsabdruck von einem lebenden Menſchen. Vernunfterkentniſſe, die es obiectiv ſind, (d. i. zu anfangs nur aus der eigenen Vernunft des Men- ſchen entſpringen koͤnnen) duͤrfen nur denn allein auch ſub- iectiv dieſen Nahmen fuͤhren, wenn ſie aus allgemeinen Quel-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 836. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/866>, abgerufen am 24.11.2024.