gegeben beurtheilt werden, Totalität fordert, mithin Zu- sammenfassung in eine Anschauung und für alle jene Glieder einer fortschreitend-wachsenden Zahlreihe Dar- stellung verlangt und selbst das Unendliche (Raum und verflossene Zeit) von dieser Forderung nicht aus- nimmt, vielmehr es unvermeidlich macht, es sich (in dem Urtheile der gemeinen Vernunft) als ganz (seiner Totalität nach) gegeben zu denken.
Das Unendliche aber ist schlechthin (nicht blos com- parativ) gros. Mit diesem verglichen ist alles andere (von derselben Art Größen) klein. Aber, was das vor- nehmste ist, es als ein Ganzes auch nur denken zu können zeigt ein Vermögen des Gemüths an, welches allen Maasstab der Sinne übertrift. Denn dazu würde eine Zusammenfassung erfordert werden, welche einen Maasstab als Einheit lieferte, der zum Unendlichen ein bestimmtes, in Zahlen angebliches Verhältnis hätte, wel- ches unmöglich ist. Das Unendliche aber dennoch ohne Widerspruch auch nur denken zu könen, dazu wird ein Vermögen, das selbst übersinnlich ist, im menschli- chen Gemüthe erfordert. Denn nur durch dieses und dessen Jdee eines Noumens, welches selbst keine An- schauung verstattet, aber doch der Weltanschauung, als bloßer Erscheinung, zum Substrat untergelegt wird, wird das Unendliche der Sinnenwelt, in der reinen in- tellectuellen Größenschätzung, unter einem Begriffe ganz zusammengefaßt, obzwar es in der mathematischen
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
gegeben beurtheilt werden, Totalitaͤt fordert, mithin Zu- ſammenfaſſung in eine Anſchauung und fuͤr alle jene Glieder einer fortſchreitend-wachſenden Zahlreihe Dar- ſtellung verlangt und ſelbſt das Unendliche (Raum und verfloſſene Zeit) von dieſer Forderung nicht aus- nimmt, vielmehr es unvermeidlich macht, es ſich (in dem Urtheile der gemeinen Vernunft) als ganz (ſeiner Totalitaͤt nach) gegeben zu denken.
Das Unendliche aber iſt ſchlechthin (nicht blos com- parativ) gros. Mit dieſem verglichen iſt alles andere (von derſelben Art Groͤßen) klein. Aber, was das vor- nehmſte iſt, es als ein Ganzes auch nur denken zu koͤnnen zeigt ein Vermoͤgen des Gemuͤths an, welches allen Maasſtab der Sinne uͤbertrift. Denn dazu wuͤrde eine Zuſammenfaſſung erfordert werden, welche einen Maasſtab als Einheit lieferte, der zum Unendlichen ein beſtimmtes, in Zahlen angebliches Verhaͤltnis haͤtte, wel- ches unmoͤglich iſt. Das Unendliche aber dennoch ohne Widerſpruch auch nur denken zu koͤnen, dazu wird ein Vermoͤgen, das ſelbſt uͤberſinnlich iſt, im menſchli- chen Gemuͤthe erfordert. Denn nur durch dieſes und deſſen Jdee eines Noumens, welches ſelbſt keine An- ſchauung verſtattet, aber doch der Weltanſchauung, als bloßer Erſcheinung, zum Subſtrat untergelegt wird, wird das Unendliche der Sinnenwelt, in der reinen in- tellectuellen Groͤßenſchaͤtzung, unter einem Begriffe ganz zuſammengefaßt, obzwar es in der mathematiſchen
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
gegeben beurtheilt werden, Totalitaͤt fordert, mithin Zu-
ſammenfaſſung in eine Anſchauung und fuͤr alle jene
Glieder einer fortſchreitend-wachſenden Zahlreihe Dar-
ſtellung verlangt und ſelbſt das Unendliche (Raum
und verfloſſene Zeit) von dieſer Forderung nicht aus-
nimmt, vielmehr es unvermeidlich macht, es ſich (in
dem Urtheile der gemeinen Vernunft) als ganz (ſeiner
Totalitaͤt nach) gegeben zu denken.
Das Unendliche aber iſt ſchlechthin (nicht blos com-
parativ) gros. Mit dieſem verglichen iſt alles andere
(von derſelben Art Groͤßen) klein. Aber, was das vor-
nehmſte iſt, es als ein Ganzes auch nur denken zu
koͤnnen zeigt ein Vermoͤgen des Gemuͤths an, welches
allen Maasſtab der Sinne uͤbertrift. Denn dazu wuͤrde
eine Zuſammenfaſſung erfordert werden, welche einen
Maasſtab als Einheit lieferte, der zum Unendlichen ein
beſtimmtes, in Zahlen angebliches Verhaͤltnis haͤtte, wel-
ches unmoͤglich iſt. Das Unendliche aber dennoch ohne
Widerſpruch auch nur denken zu koͤnen, dazu wird
ein Vermoͤgen, das ſelbſt uͤberſinnlich iſt, im menſchli-
chen Gemuͤthe erfordert. Denn nur durch dieſes und
deſſen Jdee eines Noumens, welches ſelbſt keine An-
ſchauung verſtattet, aber doch der Weltanſchauung, als
bloßer Erſcheinung, zum Subſtrat untergelegt wird,
wird das Unendliche der Sinnenwelt, in der reinen in-
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ganz zuſammengefaßt, obzwar es in der mathematiſchen
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/155>, abgerufen am 11.12.2024.
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