Dagegen ist die Lust am Schönen weder eine Lust des Genusses, noch einer gesetzlichen Thätigkeit, auch nicht der vernünftelnden Contemplation nach Jdeen, sondern der bloßen Reflexion und, ohne irgend einen Zweck oder Grundsatz zur Richtschnur zu haben, beglei- tet sie die gemeine Auffassung eines Gegenstandes durch die Einbildungskraft, als Vermögen der Anschauung, in Beziehung auf den Verstand, als Vermögen der Be- griffe, durch ein Verfahren der Urtheilskraft, welches sie auch zum Behuf der gemeinsten Erfahrung ausüben muß, nur daß sie es hier, um einen empirischen objecti- ven Begrif, dort aber, (in der ästhetischen Beurthei- lung) nur um die Angemessenheit der Vorstellung zur harmonischen (subjectiv-zweckmäßigen) Beschäftigung beyder Erkenntnisvermögen in ihrer Freyheit warzu- nehmen d. i. seinen Vorstellungszustand mit Lust zu em- pfinden, zu thun ist. Diese Lust muß nothwendig bey jedermann auf den nämlichen Bedingungen beruhen, weil sie subjective Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis überhaupt sind und die Proportion dieser Erkenntnisvermögen, die zum Geschmack erfordert wird, auch zum gemeinen und gesunden Verstande erforderlich ist, den man bey jedermann voraussetzen darf. Eben darum darf auch der mit Geschmack urtheilende (wenn er nur in diesem Bewußtseyn nicht irrt und die Materie für die Form, den Reiz für Schönheit nimmt) die sub- jective Zweckmäßigkeit, d. i. sein Wohlgefallen am Ob-
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Dagegen iſt die Luſt am Schoͤnen weder eine Luſt des Genuſſes, noch einer geſetzlichen Thaͤtigkeit, auch nicht der vernuͤnftelnden Contemplation nach Jdeen, ſondern der bloßen Reflexion und, ohne irgend einen Zweck oder Grundſatz zur Richtſchnur zu haben, beglei- tet ſie die gemeine Auffaſſung eines Gegenſtandes durch die Einbildungskraft, als Vermoͤgen der Anſchauung, in Beziehung auf den Verſtand, als Vermoͤgen der Be- griffe, durch ein Verfahren der Urtheilskraft, welches ſie auch zum Behuf der gemeinſten Erfahrung ausuͤben muß, nur daß ſie es hier, um einen empiriſchen objecti- ven Begrif, dort aber, (in der aͤſthetiſchen Beurthei- lung) nur um die Angemeſſenheit der Vorſtellung zur harmoniſchen (ſubjectiv-zweckmaͤßigen) Beſchaͤftigung beyder Erkenntnisvermoͤgen in ihrer Freyheit warzu- nehmen d. i. ſeinen Vorſtellungszuſtand mit Luſt zu em- pfinden, zu thun iſt. Dieſe Luſt muß nothwendig bey jedermann auf den naͤmlichen Bedingungen beruhen, weil ſie ſubjective Bedingungen der Moͤglichkeit einer Erkenntnis uͤberhaupt ſind und die Proportion dieſer Erkenntnisvermoͤgen, die zum Geſchmack erfordert wird, auch zum gemeinen und geſunden Verſtande erforderlich iſt, den man bey jedermann vorausſetzen darf. Eben darum darf auch der mit Geſchmack urtheilende (wenn er nur in dieſem Bewußtſeyn nicht irrt und die Materie fuͤr die Form, den Reiz fuͤr Schoͤnheit nimmt) die ſub- jective Zweckmaͤßigkeit, d. i. ſein Wohlgefallen am Ob-
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Dagegen iſt die Luſt am Schoͤnen weder eine Luſt
des Genuſſes, noch einer geſetzlichen Thaͤtigkeit, auch
nicht der vernuͤnftelnden Contemplation nach Jdeen,
ſondern der bloßen Reflexion und, ohne irgend einen
Zweck oder Grundſatz zur Richtſchnur zu haben, beglei-
tet ſie die gemeine Auffaſſung eines Gegenſtandes durch
die Einbildungskraft, als Vermoͤgen der Anſchauung,
in Beziehung auf den Verſtand, als Vermoͤgen der Be-
griffe, durch ein Verfahren der Urtheilskraft, welches
ſie auch zum Behuf der gemeinſten Erfahrung ausuͤben
muß, nur daß ſie es hier, um einen empiriſchen objecti-
ven Begrif, dort aber, (in der aͤſthetiſchen Beurthei-
lung) nur um die Angemeſſenheit der Vorſtellung zur
harmoniſchen (ſubjectiv-zweckmaͤßigen) Beſchaͤftigung
beyder Erkenntnisvermoͤgen in ihrer Freyheit warzu-
nehmen d. i. ſeinen Vorſtellungszuſtand mit Luſt zu em-
pfinden, zu thun iſt. Dieſe Luſt muß nothwendig bey
jedermann auf den naͤmlichen Bedingungen beruhen,
weil ſie ſubjective Bedingungen der Moͤglichkeit einer
Erkenntnis uͤberhaupt ſind und die Proportion dieſer
Erkenntnisvermoͤgen, die zum Geſchmack erfordert wird,
auch zum gemeinen und geſunden Verſtande erforderlich
iſt, den man bey jedermann vorausſetzen darf. Eben
darum darf auch der mit Geſchmack urtheilende (wenn
er nur in dieſem Bewußtſeyn nicht irrt und die Materie
fuͤr die Form, den Reiz fuͤr Schoͤnheit nimmt) die ſub-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/217>, abgerufen am 04.12.2024.
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