Hypotyposen und Ausdrücke für Begriffe nicht vermit- telst einer directen Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit derselben, d. i. der Uebertragung der Re- flexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz andern Begrif, dem vielleicht nie eine Anschauung direct correspondiren kann. Wenn man eine bloße Vor- stellungsart schon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn sie ein Princip nicht der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes, was er an sich, sondern practischen was die Jdee von ihm für uns und den zweckmäßigen Gebrauch derselben werden soll, wohl erlaubt ist) so ist alle unsere Erkenntnis von Gott blos symbolisch und der, welcher sie mit den Eigenschaften Verstand, Wille, u. s. w. die allein an Weltwesen ihre objective Realität beweisen, für schematisch nimmt, geräth in den Anthro- pomorphism, so wie, wenn er alles Jntuitive weg läßt, in den Deism, wodurch überall nichts, auch nicht in practischer Absicht erkannt wird.
Nun sage ich: das Schöne ist das Symbol des Sittlichguten und auch nur in dieser Rücksicht (einer Beziehung, die jedermann natürlich ist und die auch je- dermann andern als Pflicht zumuthet) gefällt es, mit einem Anspruche auf jedes andern Bestimmung, wobey sich das Gemüth zugleich einer gewissen Veredelung und Erhebung über die bloße Empfänglichkeit einer Lust durch Sinneneindrücke bewußt ist und anderer Werth auch nach einer ähnlichen Maxime ihrer Urtheilskraft schätzet.
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Hypotypoſen und Ausdruͤcke fuͤr Begriffe nicht vermit- telſt einer directen Anſchauung, ſondern nur nach einer Analogie mit derſelben, d. i. der Uebertragung der Re- flexion uͤber einen Gegenſtand der Anſchauung auf einen ganz andern Begrif, dem vielleicht nie eine Anſchauung direct correſpondiren kann. Wenn man eine bloße Vor- ſtellungsart ſchon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn ſie ein Princip nicht der theoretiſchen Beſtimmung des Gegenſtandes, was er an ſich, ſondern practiſchen was die Jdee von ihm fuͤr uns und den zweckmaͤßigen Gebrauch derſelben werden ſoll, wohl erlaubt iſt) ſo iſt alle unſere Erkenntnis von Gott blos ſymboliſch und der, welcher ſie mit den Eigenſchaften Verſtand, Wille, u. ſ. w. die allein an Weltweſen ihre objective Realitaͤt beweiſen, fuͤr ſchematiſch nimmt, geraͤth in den Anthro- pomorphism, ſo wie, wenn er alles Jntuitive weg laͤßt, in den Deism, wodurch uͤberall nichts, auch nicht in practiſcher Abſicht erkannt wird.
Nun ſage ich: das Schoͤne iſt das Symbol des Sittlichguten und auch nur in dieſer Ruͤckſicht (einer Beziehung, die jedermann natuͤrlich iſt und die auch je- dermann andern als Pflicht zumuthet) gefaͤllt es, mit einem Anſpruche auf jedes andern Beſtimmung, wobey ſich das Gemuͤth zugleich einer gewiſſen Veredelung und Erhebung uͤber die bloße Empfaͤnglichkeit einer Luſt durch Sinneneindruͤcke bewußt iſt und anderer Werth auch nach einer aͤhnlichen Maxime ihrer Urtheilskraft ſchaͤtzet.
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Hypotypoſen und Ausdruͤcke fuͤr Begriffe nicht vermit-
telſt einer directen Anſchauung, ſondern nur nach einer
Analogie mit derſelben, d. i. der Uebertragung der Re-
flexion uͤber einen Gegenſtand der Anſchauung auf einen
ganz andern Begrif, dem vielleicht nie eine Anſchauung
direct correſpondiren kann. Wenn man eine bloße Vor-
ſtellungsart ſchon Erkenntnis nennen darf (welches,
wenn ſie ein Princip nicht der theoretiſchen Beſtimmung
des Gegenſtandes, was er an ſich, ſondern practiſchen
was die Jdee von ihm fuͤr uns und den zweckmaͤßigen
Gebrauch derſelben werden ſoll, wohl erlaubt iſt) ſo iſt
alle unſere Erkenntnis von Gott blos ſymboliſch und
der, welcher ſie mit den Eigenſchaften Verſtand, Wille,
u. ſ. w. die allein an Weltweſen ihre objective Realitaͤt
beweiſen, fuͤr ſchematiſch nimmt, geraͤth in den Anthro-
pomorphism, ſo wie, wenn er alles Jntuitive weg
laͤßt, in den Deism, wodurch uͤberall nichts, auch
nicht in practiſcher Abſicht erkannt wird.
Nun ſage ich: das Schoͤne iſt das Symbol des
Sittlichguten und auch nur in dieſer Ruͤckſicht (einer
Beziehung, die jedermann natuͤrlich iſt und die auch je-
dermann andern als Pflicht zumuthet) gefaͤllt es, mit
einem Anſpruche auf jedes andern Beſtimmung, wobey
ſich das Gemuͤth zugleich einer gewiſſen Veredelung und
Erhebung uͤber die bloße Empfaͤnglichkeit einer Luſt durch
Sinneneindruͤcke bewußt iſt und anderer Werth auch
nach einer aͤhnlichen Maxime ihrer Urtheilskraft ſchaͤtzet.
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/318>, abgerufen am 16.06.2024.
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