Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
können wir uns aber auch einen Verstand denken, der,
weil er nicht wie der unsrige discursiv, sondern intuitiv
ist, vom Synthetisch-allgemeinen (der Anschaung
eines Ganzen, als eines solchen (zum Besondern geht,
d. i. von Ganzen zu den Theilen, der also und dessen
Vorstellung des Ganzen die Zufälligkeit der Verbin-
dung der Theile nicht in sich enthält, um eine bestimmte
Form des Ganzen möglich zu machen, die unser Ver-
stand bedarf, welcher von den Theilen, als allgemein-
gedachten Gründen, zu verschiedenen darunter zu subsu-
mirenden möglichen Formen, als Folgen, fortgehen
muß. Nach der Beschaffenheit unseres Verstandes ist
hingegen ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung
der concurrirenden bewegenden Kräfte der Theile anzu-
sehen. Wollen wir uns also nicht die Möglichkeit des
Ganzen als von den Theilen, wie es unserm discursiven
Verstande gemäs ist, sondern, nach Maasgabe des in-
tuitiven (urbildlichen), die Möglichkeit der Theile (ihrer
Beschaffenheit und Verbindung nach) als vom Ganzen
abhängend vorstellen, so kann dieses, nach eben dersel-
ben Eigenthümlichkeit unseres Verstandes, nicht so ge-
schehen, daß das Ganze den Grund der Möglichkeit der
Verknüpfung der Theile, (welches in der discursiven Er-
kenntnisart Widerspruch seyn würde), sondern nur daß die
Vorstellung eines Ganzen den Grund der Möglichkeit
der Form desselben und der dazu gehörigen Verknüpfung

Y 5

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
koͤnnen wir uns aber auch einen Verſtand denken, der,
weil er nicht wie der unſrige diſcurſiv, ſondern intuitiv
iſt, vom Synthetiſch-allgemeinen (der Anſchaung
eines Ganzen, als eines ſolchen (zum Beſondern geht,
d. i. von Ganzen zu den Theilen, der alſo und deſſen
Vorſtellung des Ganzen die Zufaͤlligkeit der Verbin-
dung der Theile nicht in ſich enthaͤlt, um eine beſtimmte
Form des Ganzen moͤglich zu machen, die unſer Ver-
ſtand bedarf, welcher von den Theilen, als allgemein-
gedachten Gruͤnden, zu verſchiedenen darunter zu ſubſu-
mirenden moͤglichen Formen, als Folgen, fortgehen
muß. Nach der Beſchaffenheit unſeres Verſtandes iſt
hingegen ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung
der concurrirenden bewegenden Kraͤfte der Theile anzu-
ſehen. Wollen wir uns alſo nicht die Moͤglichkeit des
Ganzen als von den Theilen, wie es unſerm diſcurſiven
Verſtande gemaͤs iſt, ſondern, nach Maasgabe des in-
tuitiven (urbildlichen), die Moͤglichkeit der Theile (ihrer
Beſchaffenheit und Verbindung nach) als vom Ganzen
abhaͤngend vorſtellen, ſo kann dieſes, nach eben derſel-
ben Eigenthuͤmlichkeit unſeres Verſtandes, nicht ſo ge-
ſchehen, daß das Ganze den Grund der Moͤglichkeit der
Verknuͤpfung der Theile, (welches in der diſcurſiven Er-
kenntnisart Widerſpruch ſeyn wuͤrde), ſondern nur daß die
Vorſtellung eines Ganzen den Grund der Moͤglichkeit
der Form deſſelben und der dazu gehoͤrigen Verknuͤpfung

Y 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0409" n="345"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
ko&#x0364;nnen wir uns aber auch einen Ver&#x017F;tand denken, der,<lb/>
weil er nicht wie der un&#x017F;rige di&#x017F;cur&#x017F;iv, &#x017F;ondern intuitiv<lb/>
i&#x017F;t, vom <hi rendition="#fr">Syntheti&#x017F;ch-allgemeinen</hi> (der An&#x017F;chaung<lb/>
eines Ganzen, als eines &#x017F;olchen (zum Be&#x017F;ondern geht,<lb/>
d. i. von Ganzen zu den Theilen, der al&#x017F;o und de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Vor&#x017F;tellung des Ganzen die <hi rendition="#fr">Zufa&#x0364;lligkeit</hi> der Verbin-<lb/>
dung der Theile nicht in &#x017F;ich entha&#x0364;lt, um eine be&#x017F;timmte<lb/>
Form des Ganzen mo&#x0364;glich zu machen, die un&#x017F;er Ver-<lb/>
&#x017F;tand bedarf, welcher von den Theilen, als allgemein-<lb/>
gedachten Gru&#x0364;nden, zu ver&#x017F;chiedenen darunter zu &#x017F;ub&#x017F;u-<lb/>
mirenden mo&#x0364;glichen Formen, als Folgen, fortgehen<lb/>
muß. Nach der Be&#x017F;chaffenheit un&#x017F;eres Ver&#x017F;tandes i&#x017F;t<lb/>
hingegen ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung<lb/>
der concurrirenden bewegenden Kra&#x0364;fte der Theile anzu-<lb/>
&#x017F;ehen. Wollen wir uns al&#x017F;o nicht die Mo&#x0364;glichkeit des<lb/>
Ganzen als von den Theilen, wie es un&#x017F;erm di&#x017F;cur&#x017F;iven<lb/>
Ver&#x017F;tande gema&#x0364;s i&#x017F;t, &#x017F;ondern, nach Maasgabe des in-<lb/>
tuitiven (urbildlichen), die Mo&#x0364;glichkeit der Theile (ihrer<lb/>
Be&#x017F;chaffenheit und Verbindung nach) als vom Ganzen<lb/>
abha&#x0364;ngend vor&#x017F;tellen, &#x017F;o kann die&#x017F;es, nach eben der&#x017F;el-<lb/>
ben Eigenthu&#x0364;mlichkeit un&#x017F;eres Ver&#x017F;tandes, nicht &#x017F;o ge-<lb/>
&#x017F;chehen, daß das Ganze den Grund der Mo&#x0364;glichkeit der<lb/>
Verknu&#x0364;pfung der Theile, (welches in der di&#x017F;cur&#x017F;iven Er-<lb/>
kenntnisart Wider&#x017F;pruch &#x017F;eyn wu&#x0364;rde), &#x017F;ondern nur daß die<lb/><hi rendition="#fr">Vor&#x017F;tellung</hi> eines Ganzen den Grund der Mo&#x0364;glichkeit<lb/>
der Form de&#x017F;&#x017F;elben und der dazu geho&#x0364;rigen Verknu&#x0364;pfung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 5</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0409] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. koͤnnen wir uns aber auch einen Verſtand denken, der, weil er nicht wie der unſrige diſcurſiv, ſondern intuitiv iſt, vom Synthetiſch-allgemeinen (der Anſchaung eines Ganzen, als eines ſolchen (zum Beſondern geht, d. i. von Ganzen zu den Theilen, der alſo und deſſen Vorſtellung des Ganzen die Zufaͤlligkeit der Verbin- dung der Theile nicht in ſich enthaͤlt, um eine beſtimmte Form des Ganzen moͤglich zu machen, die unſer Ver- ſtand bedarf, welcher von den Theilen, als allgemein- gedachten Gruͤnden, zu verſchiedenen darunter zu ſubſu- mirenden moͤglichen Formen, als Folgen, fortgehen muß. Nach der Beſchaffenheit unſeres Verſtandes iſt hingegen ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung der concurrirenden bewegenden Kraͤfte der Theile anzu- ſehen. Wollen wir uns alſo nicht die Moͤglichkeit des Ganzen als von den Theilen, wie es unſerm diſcurſiven Verſtande gemaͤs iſt, ſondern, nach Maasgabe des in- tuitiven (urbildlichen), die Moͤglichkeit der Theile (ihrer Beſchaffenheit und Verbindung nach) als vom Ganzen abhaͤngend vorſtellen, ſo kann dieſes, nach eben derſel- ben Eigenthuͤmlichkeit unſeres Verſtandes, nicht ſo ge- ſchehen, daß das Ganze den Grund der Moͤglichkeit der Verknuͤpfung der Theile, (welches in der diſcurſiven Er- kenntnisart Widerſpruch ſeyn wuͤrde), ſondern nur daß die Vorſtellung eines Ganzen den Grund der Moͤglichkeit der Form deſſelben und der dazu gehoͤrigen Verknuͤpfung Y 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/409
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/409>, abgerufen am 05.12.2024.