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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
ten. Eine nähere Kenntnis aber der unbeschreiblich
weisen Organisation in demselben läßt uns an diesem
Gedanken nicht haften, sondern veranlaßt die Frage:
wozu sind diese Geschöpfe da? Wenn man sich ant-
wortet: für das Thierreich, welches dadurch genährt
wird, damit es sich in so mannigfaltige Gattungen
über die Erde habe verbreiten können, so kommt die
Frage wieder: Wozu sind denn diese Pflanzen-verzeh-
rende Thiere da? die Antwort würde etwa seyn, für
die Raubthiere, die sich nur von dem nähren können
was Leben hat? Endlich ist die Frage: wozu sind diese
sammt den vorigen Naturreichen gut? Für den Men-
schen, zu dem mannigfaltigen Gebrauche, den ihn
sein Verstand von allen jenen Geschöpfen machen
lehrt; und er ist der letzte Zweck der Schöpfung hier
auf Erden, weil er das einzige Wesen auf derselben
ist, welches sich einen Begrif von Zwecken machen
und aus einem Aggregat von zweckmäßig gebildeten
Dingen durch seine Vernunft ein System der Zwecke
machen kann.

Man könnte auch, mit dem Ritter Linne, den dem
Scheine nach umgekehrten Weg gehen und sagen: Die
Gewächsfressenden Thiere sind da, um den üppigen
Wuchs des Pflanzenreichs, dadurch viele Species der-
selben erstickt werden würden, zu mäßigen, die Raub-
thiere jener ihrer Gefräßigkeit Grenzen zu setzen, end-
lich der Mensch, damit, indem er diese verfolgt

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
ten. Eine naͤhere Kenntnis aber der unbeſchreiblich
weiſen Organiſation in demſelben laͤßt uns an dieſem
Gedanken nicht haften, ſondern veranlaßt die Frage:
wozu ſind dieſe Geſchoͤpfe da? Wenn man ſich ant-
wortet: fuͤr das Thierreich, welches dadurch genaͤhrt
wird, damit es ſich in ſo mannigfaltige Gattungen
uͤber die Erde habe verbreiten koͤnnen, ſo kommt die
Frage wieder: Wozu ſind denn dieſe Pflanzen-verzeh-
rende Thiere da? die Antwort wuͤrde etwa ſeyn, fuͤr
die Raubthiere, die ſich nur von dem naͤhren koͤnnen
was Leben hat? Endlich iſt die Frage: wozu ſind dieſe
ſammt den vorigen Naturreichen gut? Fuͤr den Men-
ſchen, zu dem mannigfaltigen Gebrauche, den ihn
ſein Verſtand von allen jenen Geſchoͤpfen machen
lehrt; und er iſt der letzte Zweck der Schoͤpfung hier
auf Erden, weil er das einzige Weſen auf derſelben
iſt, welches ſich einen Begrif von Zwecken machen
und aus einem Aggregat von zweckmaͤßig gebildeten
Dingen durch ſeine Vernunft ein Syſtem der Zwecke
machen kann.

Man koͤnnte auch, mit dem Ritter Linné, den dem
Scheine nach umgekehrten Weg gehen und ſagen: Die
Gewaͤchsfreſſenden Thiere ſind da, um den uͤppigen
Wuchs des Pflanzenreichs, dadurch viele Species der-
ſelben erſtickt werden wuͤrden, zu maͤßigen, die Raub-
thiere jener ihrer Gefraͤßigkeit Grenzen zu ſetzen, end-
lich der Menſch, damit, indem er dieſe verfolgt

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[378/0442] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. ten. Eine naͤhere Kenntnis aber der unbeſchreiblich weiſen Organiſation in demſelben laͤßt uns an dieſem Gedanken nicht haften, ſondern veranlaßt die Frage: wozu ſind dieſe Geſchoͤpfe da? Wenn man ſich ant- wortet: fuͤr das Thierreich, welches dadurch genaͤhrt wird, damit es ſich in ſo mannigfaltige Gattungen uͤber die Erde habe verbreiten koͤnnen, ſo kommt die Frage wieder: Wozu ſind denn dieſe Pflanzen-verzeh- rende Thiere da? die Antwort wuͤrde etwa ſeyn, fuͤr die Raubthiere, die ſich nur von dem naͤhren koͤnnen was Leben hat? Endlich iſt die Frage: wozu ſind dieſe ſammt den vorigen Naturreichen gut? Fuͤr den Men- ſchen, zu dem mannigfaltigen Gebrauche, den ihn ſein Verſtand von allen jenen Geſchoͤpfen machen lehrt; und er iſt der letzte Zweck der Schoͤpfung hier auf Erden, weil er das einzige Weſen auf derſelben iſt, welches ſich einen Begrif von Zwecken machen und aus einem Aggregat von zweckmaͤßig gebildeten Dingen durch ſeine Vernunft ein Syſtem der Zwecke machen kann. Man koͤnnte auch, mit dem Ritter Linné, den dem Scheine nach umgekehrten Weg gehen und ſagen: Die Gewaͤchsfreſſenden Thiere ſind da, um den uͤppigen Wuchs des Pflanzenreichs, dadurch viele Species der- ſelben erſtickt werden wuͤrden, zu maͤßigen, die Raub- thiere jener ihrer Gefraͤßigkeit Grenzen zu ſetzen, end- lich der Menſch, damit, indem er dieſe verfolgt

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/442>, abgerufen am 05.12.2024.