gemeinste Erfahrung hinaus, wir auf eine solche Hetero- geneität ihrer Gesetze stoßen würden, die die Vereini- gung ihrer besonderen Gesetze unter allgemeinen empiri- schen für unseren Verstand unmöglich machte; weil das dem Princip der subjectiv-zweckmäßigen Specification der Natur in ihrer Gattungen und unserer reflectirenden Ur- theilskraft in der Absicht der letzteren widerstreitet.
Diese Voraussetzung der Urtheilskraft ist gleichwohl darüber so unbestimmt: wie weit jene idealische Zweck- mäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen aus- gedehnt werden solle, daß, wenn man uns sagt, eine tiefere oder ausgebreitetere Kenntnis der Natur durch Beobachtung müsse zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von Gesetzen stoßen, die kein menschlicher Verstand auf ein Princip zurück führen kann, wir es auch zufrieden sind, ob wir es gleich lieber hören, wenn andere uns Hofnung geben: daß, je mehr wir die Natur im Jnneren kennen würden, oder mit äußeren uns für jetzt unbekannten Gliedern vergleichen könnten, wir sie in ihren Principien um desto einfacher und, bey der scheinbaren Heterogenei- tät ihrer empirischen Gesetze, einhelliger finden würden, je weiter unsere Erfahrung fortschritte; denn es ist ein Geheiß unserer Urtheilskraft nach dem Princip der An- gemessenheit der Natur zu unserem Erkenntnisvermögen zu verfahren, so weit es reicht, ohne (weil es keine be- stimmende Urtheilskraft ist, die uns diese Regel giebt) auszumachen, ob es irgend wo seine Grenzen habe, oder
c 4
Einleitung.
gemeinſte Erfahrung hinaus, wir auf eine ſolche Hetero- geneitaͤt ihrer Geſetze ſtoßen wuͤrden, die die Vereini- gung ihrer beſonderen Geſetze unter allgemeinen empiri- ſchen fuͤr unſeren Verſtand unmoͤglich machte; weil das dem Princip der ſubjectiv-zweckmaͤßigen Specification der Natur in ihrer Gattungen und unſerer reflectirenden Ur- theilskraft in der Abſicht der letzteren widerſtreitet.
Dieſe Vorausſetzung der Urtheilskraft iſt gleichwohl daruͤber ſo unbeſtimmt: wie weit jene idealiſche Zweck- maͤßigkeit der Natur fuͤr unſer Erkenntnisvermoͤgen aus- gedehnt werden ſolle, daß, wenn man uns ſagt, eine tiefere oder ausgebreitetere Kenntnis der Natur durch Beobachtung muͤſſe zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von Geſetzen ſtoßen, die kein menſchlicher Verſtand auf ein Princip zuruͤck fuͤhren kann, wir es auch zufrieden ſind, ob wir es gleich lieber hoͤren, wenn andere uns Hofnung geben: daß, je mehr wir die Natur im Jnneren kennen wuͤrden, oder mit aͤußeren uns fuͤr jetzt unbekannten Gliedern vergleichen koͤnnten, wir ſie in ihren Principien um deſto einfacher und, bey der ſcheinbaren Heterogenei- taͤt ihrer empiriſchen Geſetze, einhelliger finden wuͤrden, je weiter unſere Erfahrung fortſchritte; denn es iſt ein Geheiß unſerer Urtheilskraft nach dem Princip der An- gemeſſenheit der Natur zu unſerem Erkenntnisvermoͤgen zu verfahren, ſo weit es reicht, ohne (weil es keine be- ſtimmende Urtheilskraft iſt, die uns dieſe Regel giebt) auszumachen, ob es irgend wo ſeine Grenzen habe, oder
c 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0045"n="XXXIX"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
gemeinſte Erfahrung hinaus, wir auf eine ſolche Hetero-<lb/>
geneitaͤt ihrer Geſetze ſtoßen wuͤrden, die die Vereini-<lb/>
gung ihrer beſonderen Geſetze unter allgemeinen empiri-<lb/>ſchen fuͤr unſeren Verſtand unmoͤglich machte; weil das<lb/>
dem Princip der ſubjectiv-zweckmaͤßigen Specification<lb/>
der Natur in ihrer Gattungen und unſerer reflectirenden Ur-<lb/>
theilskraft in der Abſicht der letzteren widerſtreitet.</p><lb/><p>Dieſe Vorausſetzung der Urtheilskraft iſt gleichwohl<lb/>
daruͤber ſo unbeſtimmt: wie weit jene idealiſche Zweck-<lb/>
maͤßigkeit der Natur fuͤr unſer Erkenntnisvermoͤgen aus-<lb/>
gedehnt werden ſolle, daß, wenn man uns ſagt, eine<lb/>
tiefere oder ausgebreitetere Kenntnis der Natur durch<lb/>
Beobachtung muͤſſe zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von<lb/>
Geſetzen ſtoßen, die kein menſchlicher Verſtand auf ein<lb/>
Princip zuruͤck fuͤhren kann, wir es auch zufrieden ſind,<lb/>
ob wir es gleich lieber hoͤren, wenn andere uns Hofnung<lb/>
geben: daß, je mehr wir die Natur im Jnneren kennen<lb/>
wuͤrden, oder mit aͤußeren uns fuͤr jetzt unbekannten<lb/>
Gliedern vergleichen koͤnnten, wir ſie in ihren Principien<lb/>
um deſto einfacher und, bey der ſcheinbaren Heterogenei-<lb/>
taͤt ihrer empiriſchen Geſetze, einhelliger finden wuͤrden,<lb/>
je weiter unſere Erfahrung fortſchritte; denn es iſt ein<lb/>
Geheiß unſerer Urtheilskraft nach dem Princip der An-<lb/>
gemeſſenheit der Natur zu unſerem Erkenntnisvermoͤgen<lb/>
zu verfahren, ſo weit es reicht, ohne (weil es keine be-<lb/>ſtimmende Urtheilskraft iſt, die uns dieſe Regel giebt)<lb/>
auszumachen, ob es irgend wo ſeine Grenzen habe, oder<lb/><fwplace="bottom"type="sig">c 4</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[XXXIX/0045]
Einleitung.
gemeinſte Erfahrung hinaus, wir auf eine ſolche Hetero-
geneitaͤt ihrer Geſetze ſtoßen wuͤrden, die die Vereini-
gung ihrer beſonderen Geſetze unter allgemeinen empiri-
ſchen fuͤr unſeren Verſtand unmoͤglich machte; weil das
dem Princip der ſubjectiv-zweckmaͤßigen Specification
der Natur in ihrer Gattungen und unſerer reflectirenden Ur-
theilskraft in der Abſicht der letzteren widerſtreitet.
Dieſe Vorausſetzung der Urtheilskraft iſt gleichwohl
daruͤber ſo unbeſtimmt: wie weit jene idealiſche Zweck-
maͤßigkeit der Natur fuͤr unſer Erkenntnisvermoͤgen aus-
gedehnt werden ſolle, daß, wenn man uns ſagt, eine
tiefere oder ausgebreitetere Kenntnis der Natur durch
Beobachtung muͤſſe zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von
Geſetzen ſtoßen, die kein menſchlicher Verſtand auf ein
Princip zuruͤck fuͤhren kann, wir es auch zufrieden ſind,
ob wir es gleich lieber hoͤren, wenn andere uns Hofnung
geben: daß, je mehr wir die Natur im Jnneren kennen
wuͤrden, oder mit aͤußeren uns fuͤr jetzt unbekannten
Gliedern vergleichen koͤnnten, wir ſie in ihren Principien
um deſto einfacher und, bey der ſcheinbaren Heterogenei-
taͤt ihrer empiriſchen Geſetze, einhelliger finden wuͤrden,
je weiter unſere Erfahrung fortſchritte; denn es iſt ein
Geheiß unſerer Urtheilskraft nach dem Princip der An-
gemeſſenheit der Natur zu unſerem Erkenntnisvermoͤgen
zu verfahren, ſo weit es reicht, ohne (weil es keine be-
ſtimmende Urtheilskraft iſt, die uns dieſe Regel giebt)
auszumachen, ob es irgend wo ſeine Grenzen habe, oder
c 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. XXXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/45>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.