feder mehr ist (indessen daß die Hofnung zu dem Ruhe- stande einer Volksglückseeligkeit sich immer weiter ent- fernt) alle Talente, die zur Cultur dienen, bis zum höch- sten Grade zu entwickeln.
Was die Disciplin der Neigungen betrift, zu denen die Naturanlage in Absicht auf unsere Bestimmung, als einer Thiergattung, ganz zweckmäßig ist, die aber die Entwickelung der Menschheit sehr erschweren, so zeigt sich doch a[u]ch in Ansehung dieses zweyten Erfordernisses zur Cultur ein zweckmäßiges Streben der Natur zu einer Ausbildung, welche uns höherer Zwecke, als die Natur selbst liefern kann, empfänglich macht. Das Ueberge- wicht der Uebel, welche die Verfeinerung des Geschmacks bis zur Jdealisirung desselben, selbst der Luxus in Wissen- schaften, als einer Nahrung für die Eitelkeit, dnrch die unzubefriedigende Menge der dadurch erzeugten Neigun- gen über uns ausschüttet, ist nicht zu bestreiten; dagegen aber der Zweck der Natur auch nicht zu verkennen, der Rohigkeit und dem Ungestüm derjenigen Neigungen, welche mehr der Thierheit in uns angehören und der Ausbildung zu unserer höheren Bestimmung am meisten entgegen sind (denen des Genusses) immer mehr abzuge- winnen und der Entwickelung der Menschheit Platz zu machen. Schöne Kunst und Wissenschaften, die durch eine Lust, die sich allgemein mittheilen läßt und die Geschliffenheit und Verfeinerung für die Gesellschaft wenn gleich den Menschen nicht sittlich besser, doch gesittet
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
feder mehr iſt (indeſſen daß die Hofnung zu dem Ruhe- ſtande einer Volksgluͤckſeeligkeit ſich immer weiter ent- fernt) alle Talente, die zur Cultur dienen, bis zum hoͤch- ſten Grade zu entwickeln.
Was die Diſciplin der Neigungen betrift, zu denen die Naturanlage in Abſicht auf unſere Beſtimmung, als einer Thiergattung, ganz zweckmaͤßig iſt, die aber die Entwickelung der Menſchheit ſehr erſchweren, ſo zeigt ſich doch a[u]ch in Anſehung dieſes zweyten Erforderniſſes zur Cultur ein zweckmaͤßiges Streben der Natur zu einer Ausbildung, welche uns hoͤherer Zwecke, als die Natur ſelbſt liefern kann, empfaͤnglich macht. Das Ueberge- wicht der Uebel, welche die Verfeinerung des Geſchmacks bis zur Jdealiſirung deſſelben, ſelbſt der Luxus in Wiſſen- ſchaften, als einer Nahrung fuͤr die Eitelkeit, dnrch die unzubefriedigende Menge der dadurch erzeugten Neigun- gen uͤber uns ausſchuͤttet, iſt nicht zu beſtreiten; dagegen aber der Zweck der Natur auch nicht zu verkennen, der Rohigkeit und dem Ungeſtuͤm derjenigen Neigungen, welche mehr der Thierheit in uns angehoͤren und der Ausbildung zu unſerer hoͤheren Beſtimmung am meiſten entgegen ſind (denen des Genuſſes) immer mehr abzuge- winnen und der Entwickelung der Menſchheit Platz zu machen. Schoͤne Kunſt und Wiſſenſchaften, die durch eine Luſt, die ſich allgemein mittheilen laͤßt und die Geſchliffenheit und Verfeinerung fuͤr die Geſellſchaft wenn gleich den Menſchen nicht ſittlich beſſer, doch geſittet
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
feder mehr iſt (indeſſen daß die Hofnung zu dem Ruhe-
ſtande einer Volksgluͤckſeeligkeit ſich immer weiter ent-
fernt) alle Talente, die zur Cultur dienen, bis zum hoͤch-
ſten Grade zu entwickeln.
Was die Diſciplin der Neigungen betrift, zu denen
die Naturanlage in Abſicht auf unſere Beſtimmung, als
einer Thiergattung, ganz zweckmaͤßig iſt, die aber die
Entwickelung der Menſchheit ſehr erſchweren, ſo zeigt
ſich doch auch in Anſehung dieſes zweyten Erforderniſſes
zur Cultur ein zweckmaͤßiges Streben der Natur zu einer
Ausbildung, welche uns hoͤherer Zwecke, als die Natur
ſelbſt liefern kann, empfaͤnglich macht. Das Ueberge-
wicht der Uebel, welche die Verfeinerung des Geſchmacks
bis zur Jdealiſirung deſſelben, ſelbſt der Luxus in Wiſſen-
ſchaften, als einer Nahrung fuͤr die Eitelkeit, dnrch die
unzubefriedigende Menge der dadurch erzeugten Neigun-
gen uͤber uns ausſchuͤttet, iſt nicht zu beſtreiten; dagegen
aber der Zweck der Natur auch nicht zu verkennen, der
Rohigkeit und dem Ungeſtuͤm derjenigen Neigungen,
welche mehr der Thierheit in uns angehoͤren und der
Ausbildung zu unſerer hoͤheren Beſtimmung am meiſten
entgegen ſind (denen des Genuſſes) immer mehr abzuge-
winnen und der Entwickelung der Menſchheit Platz zu
machen. Schoͤne Kunſt und Wiſſenſchaften, die durch
eine Luſt, die ſich allgemein mittheilen laͤßt und die
Geſchliffenheit und Verfeinerung fuͤr die Geſellſchaft wenn
gleich den Menſchen nicht ſittlich beſſer, doch geſittet
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/454>, abgerufen am 05.12.2024.
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