Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
§. 87.
Von den moralischen Beweise des Daseyns
Gottes.

Es giebt eine physische Theologie, welche ei-
nen für unsere theoretisch reflectirende Urtheilskraft hin-
reichenden Beweisgrund an die Hand giebt, das Da-
seyn einer verständigen Weltursache anzunehmen. Wir
finden aber in uns selbst und, noch mehr in dem Be-
griffe eines vernünftigen mit Freyheit (seiner Caussa-
lität) begabten Wesens überhaupt, auch eine morali-
sche Teleologie,
die aber, weil die Zweckbeziehung
in uns selbst a priori, samt dem Gesetze derselben, be-
stimmt, mithin als nothwendig erkannt werden kann,
zu diesem Behuf keiner verständigen Ursache ausser uns
für diese innere Gesetzmäßigkeit bedarf, so wenig, als
wir bey dem, was wir in den geometrischen Eigenschaf-
ten der Figuren (für allerley mögliche Kunstausübung)
zweckmäßiges finden, auf einen ihnen dieses ertheilen-
den höchsten Verstand hinaus sehen dürfen. Aber diese
moralische Teleologie betrift doch uns, als Weltwesen
und also mit andern Dingen in der Welt verbundene
Wesen, auf welche letztere, entweder als Zwecke oder
uns selbst in Ansehung ihrer als Endzweck, unsere
Beurtheilung zu richten, eben dieselbe moralische Gesetze
uns zur Vorschrift machen. Von dieser moralischen Te-
leologie nun, welche die Beziehung unserer eigenen

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
§. 87.
Von den moraliſchen Beweiſe des Daſeyns
Gottes.

Es giebt eine phyſiſche Theologie, welche ei-
nen fuͤr unſere theoretiſch reflectirende Urtheilskraft hin-
reichenden Beweisgrund an die Hand giebt, das Da-
ſeyn einer verſtaͤndigen Welturſache anzunehmen. Wir
finden aber in uns ſelbſt und, noch mehr in dem Be-
griffe eines vernuͤnftigen mit Freyheit (ſeiner Cauſſa-
litaͤt) begabten Weſens uͤberhaupt, auch eine morali-
ſche Teleologie,
die aber, weil die Zweckbeziehung
in uns ſelbſt a priori, ſamt dem Geſetze derſelben, be-
ſtimmt, mithin als nothwendig erkannt werden kann,
zu dieſem Behuf keiner verſtaͤndigen Urſache auſſer uns
fuͤr dieſe innere Geſetzmaͤßigkeit bedarf, ſo wenig, als
wir bey dem, was wir in den geometriſchen Eigenſchaf-
ten der Figuren (fuͤr allerley moͤgliche Kunſtausuͤbung)
zweckmaͤßiges finden, auf einen ihnen dieſes ertheilen-
den hoͤchſten Verſtand hinaus ſehen duͤrfen. Aber dieſe
moraliſche Teleologie betrift doch uns, als Weltweſen
und alſo mit andern Dingen in der Welt verbundene
Weſen, auf welche letztere, entweder als Zwecke oder
uns ſelbſt in Anſehung ihrer als Endzweck, unſere
Beurtheilung zu richten, eben dieſelbe moraliſche Geſetze
uns zur Vorſchrift machen. Von dieſer moraliſchen Te-
leologie nun, welche die Beziehung unſerer eigenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0478" n="414"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">§. 87.<lb/>
Von den morali&#x017F;chen Bewei&#x017F;e des Da&#x017F;eyns<lb/>
Gottes.</hi> </head><lb/>
              <p>Es giebt eine <hi rendition="#fr">phy&#x017F;i&#x017F;che Theologie,</hi> welche ei-<lb/>
nen fu&#x0364;r un&#x017F;ere theoreti&#x017F;ch reflectirende Urtheilskraft hin-<lb/>
reichenden Beweisgrund an die Hand giebt, das Da-<lb/>
&#x017F;eyn einer ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen Weltur&#x017F;ache anzunehmen. Wir<lb/>
finden aber in uns &#x017F;elb&#x017F;t und, noch mehr in dem Be-<lb/>
griffe eines vernu&#x0364;nftigen mit Freyheit (&#x017F;einer Cau&#x017F;&#x017F;a-<lb/>
lita&#x0364;t) begabten We&#x017F;ens u&#x0364;berhaupt, auch eine <hi rendition="#fr">morali-<lb/>
&#x017F;che Teleologie,</hi> die aber, weil die Zweckbeziehung<lb/>
in uns &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#aq">a priori,</hi> &#x017F;amt dem Ge&#x017F;etze der&#x017F;elben, be-<lb/>
&#x017F;timmt, mithin als nothwendig erkannt werden kann,<lb/>
zu die&#x017F;em Behuf keiner ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ur&#x017F;ache au&#x017F;&#x017F;er uns<lb/>
fu&#x0364;r die&#x017F;e innere Ge&#x017F;etzma&#x0364;ßigkeit bedarf, &#x017F;o wenig, als<lb/>
wir bey dem, was wir in den geometri&#x017F;chen Eigen&#x017F;chaf-<lb/>
ten der Figuren (fu&#x0364;r allerley mo&#x0364;gliche Kun&#x017F;tausu&#x0364;bung)<lb/>
zweckma&#x0364;ßiges finden, auf einen ihnen die&#x017F;es ertheilen-<lb/>
den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ver&#x017F;tand hinaus &#x017F;ehen du&#x0364;rfen. Aber die&#x017F;e<lb/>
morali&#x017F;che Teleologie betrift doch uns, als Weltwe&#x017F;en<lb/>
und al&#x017F;o mit andern Dingen in der Welt verbundene<lb/>
We&#x017F;en, auf welche letztere, entweder als Zwecke oder<lb/>
uns &#x017F;elb&#x017F;t in An&#x017F;ehung ihrer als Endzweck, un&#x017F;ere<lb/>
Beurtheilung zu richten, eben die&#x017F;elbe morali&#x017F;che Ge&#x017F;etze<lb/>
uns zur Vor&#x017F;chrift machen. Von die&#x017F;er morali&#x017F;chen Te-<lb/>
leologie nun, welche die Beziehung un&#x017F;erer eigenen<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[414/0478] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. §. 87. Von den moraliſchen Beweiſe des Daſeyns Gottes. Es giebt eine phyſiſche Theologie, welche ei- nen fuͤr unſere theoretiſch reflectirende Urtheilskraft hin- reichenden Beweisgrund an die Hand giebt, das Da- ſeyn einer verſtaͤndigen Welturſache anzunehmen. Wir finden aber in uns ſelbſt und, noch mehr in dem Be- griffe eines vernuͤnftigen mit Freyheit (ſeiner Cauſſa- litaͤt) begabten Weſens uͤberhaupt, auch eine morali- ſche Teleologie, die aber, weil die Zweckbeziehung in uns ſelbſt a priori, ſamt dem Geſetze derſelben, be- ſtimmt, mithin als nothwendig erkannt werden kann, zu dieſem Behuf keiner verſtaͤndigen Urſache auſſer uns fuͤr dieſe innere Geſetzmaͤßigkeit bedarf, ſo wenig, als wir bey dem, was wir in den geometriſchen Eigenſchaf- ten der Figuren (fuͤr allerley moͤgliche Kunſtausuͤbung) zweckmaͤßiges finden, auf einen ihnen dieſes ertheilen- den hoͤchſten Verſtand hinaus ſehen duͤrfen. Aber dieſe moraliſche Teleologie betrift doch uns, als Weltweſen und alſo mit andern Dingen in der Welt verbundene Weſen, auf welche letztere, entweder als Zwecke oder uns ſelbſt in Anſehung ihrer als Endzweck, unſere Beurtheilung zu richten, eben dieſelbe moraliſche Geſetze uns zur Vorſchrift machen. Von dieſer moraliſchen Te- leologie nun, welche die Beziehung unſerer eigenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/478
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/478>, abgerufen am 05.12.2024.