Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764.Zweytes Buch. Meine Jugend ward gedrückt von Sorgen, Seufzend sang an manchem Sommermorgen Meine Einfalt ihr gestammelt Lied; Nicht dem Jüngling thöneten Gesänge, Nein, dem Gott, der auf der Menschen Menge, Wie auf Ameishaufen niedersieht! Ohne Regung, die ich oft beschreibe, Ohne Zärtlichkeit ward ich zum Weibe, Ward zur Mutter! wie im wilden Krieg, Unverliebt ein Mädchen werden müßte, Die ein Krieger halb gezwungen küßte, Der die Mauer einer Stadt erstieg. Sing ich Lieder für der Liebe Kenner: Dann denk ich den zärtlichsten der Männer, Den ich immer wünschte, nie erhielt; Keine Gattin küßte je getreuer, Als ich in der Sapho sanftem Feuer Lippen küßte, die ich nie gefühlt! Zweytes Buch. Meine Jugend ward gedruͤckt von Sorgen, Seufzend ſang an manchem Sommermorgen Meine Einfalt ihr geſtammelt Lied; Nicht dem Juͤngling thoͤneten Geſaͤnge, Nein, dem Gott, der auf der Menſchen Menge, Wie auf Ameishaufen niederſieht! Ohne Regung, die ich oft beſchreibe, Ohne Zaͤrtlichkeit ward ich zum Weibe, Ward zur Mutter! wie im wilden Krieg, Unverliebt ein Maͤdchen werden muͤßte, Die ein Krieger halb gezwungen kuͤßte, Der die Mauer einer Stadt erſtieg. Sing ich Lieder fuͤr der Liebe Kenner: Dann denk ich den zaͤrtlichſten der Maͤnner, Den ich immer wuͤnſchte, nie erhielt; Keine Gattin kuͤßte je getreuer, Als ich in der Sapho ſanftem Feuer Lippen kuͤßte, die ich nie gefuͤhlt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0155" n="111"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweytes Buch.</hi> </fw><lb/> <lg type="poem" n="5"> <l>Meine Jugend ward gedruͤckt von Sorgen,<lb/> Seufzend ſang an manchem Sommermorgen<lb/> Meine Einfalt ihr geſtammelt Lied;<lb/> Nicht dem Juͤngling thoͤneten Geſaͤnge,<lb/> Nein, dem Gott, der auf der Menſchen Menge,<lb/> Wie auf Ameishaufen niederſieht!</l> </lg><lb/> <lg type="poem" n="6"> <l>Ohne Regung, die ich oft beſchreibe,<lb/> Ohne Zaͤrtlichkeit ward ich zum Weibe,<lb/> Ward zur Mutter! wie im wilden Krieg,<lb/> Unverliebt ein Maͤdchen werden muͤßte,<lb/> Die ein Krieger halb gezwungen kuͤßte,<lb/> Der die Mauer einer Stadt erſtieg.</l> </lg><lb/> <lg type="poem" n="7"> <l>Sing ich Lieder fuͤr der Liebe Kenner:<lb/> Dann denk ich den zaͤrtlichſten der Maͤnner,<lb/> Den ich immer wuͤnſchte, nie erhielt;<lb/> Keine Gattin kuͤßte je getreuer,<lb/> Als ich in der Sapho ſanftem Feuer<lb/> Lippen kuͤßte, die ich nie gefuͤhlt!</l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0155]
Zweytes Buch.
Meine Jugend ward gedruͤckt von Sorgen,
Seufzend ſang an manchem Sommermorgen
Meine Einfalt ihr geſtammelt Lied;
Nicht dem Juͤngling thoͤneten Geſaͤnge,
Nein, dem Gott, der auf der Menſchen Menge,
Wie auf Ameishaufen niederſieht!
Ohne Regung, die ich oft beſchreibe,
Ohne Zaͤrtlichkeit ward ich zum Weibe,
Ward zur Mutter! wie im wilden Krieg,
Unverliebt ein Maͤdchen werden muͤßte,
Die ein Krieger halb gezwungen kuͤßte,
Der die Mauer einer Stadt erſtieg.
Sing ich Lieder fuͤr der Liebe Kenner:
Dann denk ich den zaͤrtlichſten der Maͤnner,
Den ich immer wuͤnſchte, nie erhielt;
Keine Gattin kuͤßte je getreuer,
Als ich in der Sapho ſanftem Feuer
Lippen kuͤßte, die ich nie gefuͤhlt!
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