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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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festen Vorsatz, diesmal den Wunsch ihrer Vaterstadt
zu erfüllen, da sie auf dem halben Wege war, allein
in Frankfurt nahm ihre Schwäche so zu, daß sie kaum
noch wanken konnte. Während eines Aufenthalts
von drei Monaten konnte sie nur wenig Besuche ge-
ben, und war fast immer bettlägerig, oder saß matt
auf dem Stuhle *). Dennoch unterlag ihr Geist
nicht, sondern richtete sogar durch seine immer wie-
der empor steigende Flamme den einsinkenden Körper

*) Hierbei ist dankbarlich anzumerken, daß sie diese drey Mo-
nathe durch in dem Hause eines Schwestersohns des Kar-
sches
Aufenthalt und Pflege genoß; sein Name ist: Peter
Friedrich Wolf, Bürger und Viktualienhändler zu Frank-
furt. Es macht ihm nicht allein Ehre, daß er seine schwa-
che Tante bei ihrer langen Anwesenheit so kindlich behan-
delte, sondern sein biederes Herz nahm ihr auch die größte
Last mit ihrem dort studirenden Enkel ab, indem er dem-
selben in seinem Hause Tisch und Wohnung giebt. So wun-
derbar nimmt das Schicksal die Wege zum Vergeltungs-
recht: dieser Peter Wolf muß durch seinen edlen Sinn
wieder auslöschen, was seiner Mutterbruder schlimm mach-
te! -- Eben so erlebte sie auf eine entgegengesetzte Weise
das Vergeltungsrecht an ihres ersten Mannes Hirsekorns
ältestem Sohne aus der zweiten Ehe, welcher als ein zwan-
zigjähriger Jüngling bei ihr Hülfe suchte, indem er auf sei-
ner Wanderschaft durch Werber unter die Soldaten gerathen
war. Sein Vater und seine Mutter baten die Dichterin
in manchem flehentlichen Schreiben, daß sie sich für dieses
ihr Lieblingskind beim Gouverneur verwenden sollte; sie
that es zu verschiedenenmalen, allein es half nicht, er mußte
Soldat bleiben.

feſten Vorſatz, diesmal den Wunſch ihrer Vaterſtadt
zu erfuͤllen, da ſie auf dem halben Wege war, allein
in Frankfurt nahm ihre Schwaͤche ſo zu, daß ſie kaum
noch wanken konnte. Waͤhrend eines Aufenthalts
von drei Monaten konnte ſie nur wenig Beſuche ge-
ben, und war faſt immer bettlaͤgerig, oder ſaß matt
auf dem Stuhle *). Dennoch unterlag ihr Geiſt
nicht, ſondern richtete ſogar durch ſeine immer wie-
der empor ſteigende Flamme den einſinkenden Koͤrper

*) Hierbei iſt dankbarlich anzumerken, daß ſie dieſe drey Mo-
nathe durch in dem Hauſe eines Schweſterſohns des Kar-
ſches
Aufenthalt und Pflege genoß; ſein Name iſt: Peter
Friedrich Wolf, Buͤrger und Viktualienhaͤndler zu Frank-
furt. Es macht ihm nicht allein Ehre, daß er ſeine ſchwa-
che Tante bei ihrer langen Anweſenheit ſo kindlich behan-
delte, ſondern ſein biederes Herz nahm ihr auch die groͤßte
Laſt mit ihrem dort ſtudirenden Enkel ab, indem er dem-
ſelben in ſeinem Hauſe Tiſch und Wohnung giebt. So wun-
derbar nimmt das Schickſal die Wege zum Vergeltungs-
recht: dieſer Peter Wolf muß durch ſeinen edlen Sinn
wieder ausloͤſchen, was ſeiner Mutterbruder ſchlimm mach-
te! — Eben ſo erlebte ſie auf eine entgegengeſetzte Weiſe
das Vergeltungsrecht an ihres erſten Mannes Hirſekorns
aͤlteſtem Sohne aus der zweiten Ehe, welcher als ein zwan-
zigjaͤhriger Juͤngling bei ihr Huͤlfe ſuchte, indem er auf ſei-
ner Wanderſchaft durch Werber unter die Soldaten gerathen
war. Sein Vater und ſeine Mutter baten die Dichterin
in manchem flehentlichen Schreiben, daß ſie ſich fuͤr dieſes
ihr Lieblingskind beim Gouverneur verwenden ſollte; ſie
that es zu verſchiedenenmalen, allein es half nicht, er mußte
Soldat bleiben.
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[123/0155] feſten Vorſatz, diesmal den Wunſch ihrer Vaterſtadt zu erfuͤllen, da ſie auf dem halben Wege war, allein in Frankfurt nahm ihre Schwaͤche ſo zu, daß ſie kaum noch wanken konnte. Waͤhrend eines Aufenthalts von drei Monaten konnte ſie nur wenig Beſuche ge- ben, und war faſt immer bettlaͤgerig, oder ſaß matt auf dem Stuhle *). Dennoch unterlag ihr Geiſt nicht, ſondern richtete ſogar durch ſeine immer wie- der empor ſteigende Flamme den einſinkenden Koͤrper *) Hierbei iſt dankbarlich anzumerken, daß ſie dieſe drey Mo- nathe durch in dem Hauſe eines Schweſterſohns des Kar- ſches Aufenthalt und Pflege genoß; ſein Name iſt: Peter Friedrich Wolf, Buͤrger und Viktualienhaͤndler zu Frank- furt. Es macht ihm nicht allein Ehre, daß er ſeine ſchwa- che Tante bei ihrer langen Anweſenheit ſo kindlich behan- delte, ſondern ſein biederes Herz nahm ihr auch die groͤßte Laſt mit ihrem dort ſtudirenden Enkel ab, indem er dem- ſelben in ſeinem Hauſe Tiſch und Wohnung giebt. So wun- derbar nimmt das Schickſal die Wege zum Vergeltungs- recht: dieſer Peter Wolf muß durch ſeinen edlen Sinn wieder ausloͤſchen, was ſeiner Mutterbruder ſchlimm mach- te! — Eben ſo erlebte ſie auf eine entgegengeſetzte Weiſe das Vergeltungsrecht an ihres erſten Mannes Hirſekorns aͤlteſtem Sohne aus der zweiten Ehe, welcher als ein zwan- zigjaͤhriger Juͤngling bei ihr Huͤlfe ſuchte, indem er auf ſei- ner Wanderſchaft durch Werber unter die Soldaten gerathen war. Sein Vater und ſeine Mutter baten die Dichterin in manchem flehentlichen Schreiben, daß ſie ſich fuͤr dieſes ihr Lieblingskind beim Gouverneur verwenden ſollte; ſie that es zu verſchiedenenmalen, allein es half nicht, er mußte Soldat bleiben.

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/155>, abgerufen am 24.11.2024.