lebhaft, und selbst im Fieber sich gegenwärtig. Ihre Gespräche waren wie in den gesunden Tagen, und sie schien hinter einem Schirme mehr eine Unterhaltende als Kranke zu seyn. Noch am letzten Nachmittage ihres Lebens war sie so gesprächig mit ihrer Tochter, daß sie derselben jede Frage aus der vor- und gegen- wärtigen Zeit mit einer jugendlichen Gedächtnißkraft beantwortete; und obgleich der herannahende Tod sich schon durch das Schwerwerden ihrer Zunge in einem Schlagfluß meldete, welcher nach vier Uhr Nachmittags eintrat, wodurch ihre Sprache von Stunde zu Stunde lallender wurde; so sprach sie doch mit jedem, der vor ihr Bette trat, im leichten, gesellschaftlichen Ton, und mit beständiger Gegenwart des Geistes. Daher sie auch nicht zu sterben glaubte, sondern sogar den Anwesenden versicherte, daß sie durch die Limonade, welche ihr letz- ter Erquickungstrank war, besser würde, und nun wol noch eine drei Jährchen leben könnte. Mit dem Ge- danken arbeitete sie ruhiges Herzens, obgleich schweres Athems und röchelnd dem Tode entgegen. Um halb zehn Uhr begehrte sie noch einmal zu trinken, und die Todestropfen fielen hell in den labenden Trank. -- Dreiviertel auf Zehn trat der Steckfluß ein, woran sie zehn Minuten arbeitete, und mit dem Schlage zehn, als eben der Wächter die Nacht verkündigte, ward ihr Geist abgerufen. Sie starb am12ten October 1791.
lebhaft, und ſelbſt im Fieber ſich gegenwaͤrtig. Ihre Geſpraͤche waren wie in den geſunden Tagen, und ſie ſchien hinter einem Schirme mehr eine Unterhaltende als Kranke zu ſeyn. Noch am letzten Nachmittage ihres Lebens war ſie ſo geſpraͤchig mit ihrer Tochter, daß ſie derſelben jede Frage aus der vor- und gegen- waͤrtigen Zeit mit einer jugendlichen Gedaͤchtnißkraft beantwortete; und obgleich der herannahende Tod ſich ſchon durch das Schwerwerden ihrer Zunge in einem Schlagfluß meldete, welcher nach vier Uhr Nachmittags eintrat, wodurch ihre Sprache von Stunde zu Stunde lallender wurde; ſo ſprach ſie doch mit jedem, der vor ihr Bette trat, im leichten, geſellſchaftlichen Ton, und mit beſtaͤndiger Gegenwart des Geiſtes. Daher ſie auch nicht zu ſterben glaubte, ſondern ſogar den Anweſenden verſicherte, daß ſie durch die Limonade, welche ihr letz- ter Erquickungstrank war, beſſer wuͤrde, und nun wol noch eine drei Jaͤhrchen leben koͤnnte. Mit dem Ge- danken arbeitete ſie ruhiges Herzens, obgleich ſchweres Athems und roͤchelnd dem Tode entgegen. Um halb zehn Uhr begehrte ſie noch einmal zu trinken, und die Todestropfen fielen hell in den labenden Trank. — Dreiviertel auf Zehn trat der Steckfluß ein, woran ſie zehn Minuten arbeitete, und mit dem Schlage zehn, als eben der Waͤchter die Nacht verkuͤndigte, ward ihr Geiſt abgerufen. Sie ſtarb am12ten October 1791.
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lebhaft, und ſelbſt im Fieber ſich gegenwaͤrtig. Ihre
Geſpraͤche waren wie in den geſunden Tagen, und ſie
ſchien hinter einem Schirme mehr eine Unterhaltende
als Kranke zu ſeyn. Noch am letzten Nachmittage
ihres Lebens war ſie ſo geſpraͤchig mit ihrer Tochter,
daß ſie derſelben jede Frage aus der vor- und gegen-
waͤrtigen Zeit mit einer jugendlichen Gedaͤchtnißkraft
beantwortete; und obgleich der herannahende Tod ſich
ſchon durch das Schwerwerden ihrer Zunge in einem
Schlagfluß meldete, welcher nach vier Uhr Nachmittags
eintrat, wodurch ihre Sprache von Stunde zu Stunde
lallender wurde; ſo ſprach ſie doch mit jedem, der vor
ihr Bette trat, im leichten, geſellſchaftlichen Ton, und
mit beſtaͤndiger Gegenwart des Geiſtes. Daher ſie auch
nicht zu ſterben glaubte, ſondern ſogar den Anweſenden
verſicherte, daß ſie durch die Limonade, welche ihr letz-
ter Erquickungstrank war, beſſer wuͤrde, und nun wol
noch eine drei Jaͤhrchen leben koͤnnte. Mit dem Ge-
danken arbeitete ſie ruhiges Herzens, obgleich ſchweres
Athems und roͤchelnd dem Tode entgegen. Um halb
zehn Uhr begehrte ſie noch einmal zu trinken, und die
Todestropfen fielen hell in den labenden Trank. —
Dreiviertel auf Zehn trat der Steckfluß ein, woran ſie
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als eben der Waͤchter die Nacht verkuͤndigte, ward ihr
Geiſt abgerufen. Sie ſtarb am12ten October 1791.
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/157>, abgerufen am 21.11.2024.
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