Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.An den einjährigen Wilhelm von K. Du kennst noch nicht den Regenbogen Und nicht die Sonnenstrahlen, Kind! Dein erstes Jahr ist hingeflogen, Wo Deiner Väter Jahre sind; Und niemals ward der schöne Morgen Von Dir bemerkt, von Dir gedacht, Wenn ihn Dein Herz gleich ohne Sorgen Aus offnen Augen angelacht. Die große Kraft zu unterscheiden, Liegt in der Seele noch verhüllt; Und dennoch wird sie schon mit Freuden Und auch mit Traurigkeit erfüllt. Ein stiller Gram schwächt Deine Blicke, Und zieht von Deines Mundes Rand Dein süßes Lächeln oft zurücke Ins Herz, das den Verlust empfand. An den einjaͤhrigen Wilhelm von K. Du kennſt noch nicht den Regenbogen Und nicht die Sonnenſtrahlen, Kind! Dein erſtes Jahr iſt hingeflogen, Wo Deiner Vaͤter Jahre ſind; Und niemals ward der ſchoͤne Morgen Von Dir bemerkt, von Dir gedacht, Wenn ihn Dein Herz gleich ohne Sorgen Aus offnen Augen angelacht. Die große Kraft zu unterſcheiden, Liegt in der Seele noch verhuͤllt; Und dennoch wird ſie ſchon mit Freuden Und auch mit Traurigkeit erfuͤllt. Ein ſtiller Gram ſchwaͤcht Deine Blicke, Und zieht von Deines Mundes Rand Dein ſuͤßes Laͤcheln oft zuruͤcke Ins Herz, das den Verluſt empfand. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0230" n="70"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#g">An</hi><lb/> <hi rendition="#b">den einjaͤhrigen Wilhelm von K.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">D</hi>u kennſt noch nicht den Regenbogen</l><lb/> <l>Und nicht die Sonnenſtrahlen, Kind!</l><lb/> <l>Dein erſtes Jahr iſt hingeflogen,</l><lb/> <l>Wo Deiner Vaͤter Jahre ſind;</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Und niemals ward der ſchoͤne Morgen</l><lb/> <l>Von Dir bemerkt, von Dir gedacht,</l><lb/> <l>Wenn ihn Dein Herz gleich ohne Sorgen</l><lb/> <l>Aus offnen Augen angelacht.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Die große Kraft zu unterſcheiden,</l><lb/> <l>Liegt in der Seele noch verhuͤllt;</l><lb/> <l>Und dennoch wird ſie ſchon mit Freuden</l><lb/> <l>Und auch mit Traurigkeit erfuͤllt.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Ein ſtiller Gram ſchwaͤcht Deine Blicke,</l><lb/> <l>Und zieht von Deines Mundes Rand</l><lb/> <l>Dein ſuͤßes Laͤcheln oft zuruͤcke</l><lb/> <l>Ins Herz, das den Verluſt empfand.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0230]
An
den einjaͤhrigen Wilhelm von K.
Du kennſt noch nicht den Regenbogen
Und nicht die Sonnenſtrahlen, Kind!
Dein erſtes Jahr iſt hingeflogen,
Wo Deiner Vaͤter Jahre ſind;
Und niemals ward der ſchoͤne Morgen
Von Dir bemerkt, von Dir gedacht,
Wenn ihn Dein Herz gleich ohne Sorgen
Aus offnen Augen angelacht.
Die große Kraft zu unterſcheiden,
Liegt in der Seele noch verhuͤllt;
Und dennoch wird ſie ſchon mit Freuden
Und auch mit Traurigkeit erfuͤllt.
Ein ſtiller Gram ſchwaͤcht Deine Blicke,
Und zieht von Deines Mundes Rand
Dein ſuͤßes Laͤcheln oft zuruͤcke
Ins Herz, das den Verluſt empfand.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/230 |
Zitationshilfe: | Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/230>, abgerufen am 16.02.2025. |