Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite
Bald aber, wenn Du größer wirst,
Bey vorgekeimeten Verstande,
Begreift Dein Geist, daß Du der Fürst,
Der Erbe bist von einem Lande,
Worinnen Milch und Honig fleußt:
Dann werden Schmeichler Dich umgeben,
Die Deinen witzbegabten Geist
Bis an die Stern erheben.
Dann sey auf Deiner Hut, o Kind,
Bey dem Gesange der Sirenen,
Die lieblich und betäubend sind,
Und oftmals in den Fürstensöhnen
Die besten Seelen schlimm gemacht;
Sie gleichen jener bunten Schlangen,
Die listig und mit Redepracht
Das erste Weib gefangen.
Laß nicht in Deiner jungen Brust
Den Trieb zur stolzen Herrschsucht steigen!
Sey sanft, und finde Deine Lust,
Wenn Du Dich fürstlich kannst bezeigen,
Großmüthig, zärtlich, voll Gefühl
Des Mitleids und der Menschenliebe,
So daß Dein Herz im Kinderspiel
Schon fromme Pflichten übe.

Jedoch
Bald aber, wenn Du groͤßer wirſt,
Bey vorgekeimeten Verſtande,
Begreift Dein Geiſt, daß Du der Fuͤrſt,
Der Erbe biſt von einem Lande,
Worinnen Milch und Honig fleußt:
Dann werden Schmeichler Dich umgeben,
Die Deinen witzbegabten Geiſt
Bis an die Stern erheben.
Dann ſey auf Deiner Hut, o Kind,
Bey dem Geſange der Sirenen,
Die lieblich und betaͤubend ſind,
Und oftmals in den Fuͤrſtenſoͤhnen
Die beſten Seelen ſchlimm gemacht;
Sie gleichen jener bunten Schlangen,
Die liſtig und mit Redepracht
Das erſte Weib gefangen.
Laß nicht in Deiner jungen Bruſt
Den Trieb zur ſtolzen Herrſchſucht ſteigen!
Sey ſanft, und finde Deine Luſt,
Wenn Du Dich fuͤrſtlich kannſt bezeigen,
Großmuͤthig, zaͤrtlich, voll Gefuͤhl
Des Mitleids und der Menſchenliebe,
So daß Dein Herz im Kinderſpiel
Schon fromme Pflichten uͤbe.

Jedoch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0256" n="96"/>
              <lg n="2">
                <l>Bald aber, wenn Du gro&#x0364;ßer wir&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Bey vorgekeimeten Ver&#x017F;tande,</l><lb/>
                <l>Begreift Dein Gei&#x017F;t, daß Du der Fu&#x0364;r&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Der Erbe bi&#x017F;t von einem Lande,</l><lb/>
                <l>Worinnen Milch und Honig fleußt:</l><lb/>
                <l>Dann werden Schmeichler Dich umgeben,</l><lb/>
                <l>Die Deinen witzbegabten Gei&#x017F;t</l><lb/>
                <l>Bis an die Stern erheben.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Dann &#x017F;ey auf Deiner Hut, o Kind,</l><lb/>
                <l>Bey dem Ge&#x017F;ange der Sirenen,</l><lb/>
                <l>Die lieblich und beta&#x0364;ubend &#x017F;ind,</l><lb/>
                <l>Und oftmals in den Fu&#x0364;r&#x017F;ten&#x017F;o&#x0364;hnen</l><lb/>
                <l>Die be&#x017F;ten Seelen &#x017F;chlimm gemacht;</l><lb/>
                <l>Sie gleichen jener bunten Schlangen,</l><lb/>
                <l>Die li&#x017F;tig und mit Redepracht</l><lb/>
                <l>Das er&#x017F;te Weib gefangen.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Laß nicht in Deiner jungen Bru&#x017F;t</l><lb/>
                <l>Den Trieb zur &#x017F;tolzen Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht &#x017F;teigen!</l><lb/>
                <l>Sey &#x017F;anft, und finde Deine Lu&#x017F;t,</l><lb/>
                <l>Wenn Du Dich fu&#x0364;r&#x017F;tlich kann&#x017F;t bezeigen,</l><lb/>
                <l>Großmu&#x0364;thig, za&#x0364;rtlich, voll Gefu&#x0364;hl</l><lb/>
                <l>Des Mitleids und der Men&#x017F;chenliebe,</l><lb/>
                <l>So daß Dein Herz im Kinder&#x017F;piel</l><lb/>
                <l>Schon fromme Pflichten u&#x0364;be.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Jedoch</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0256] Bald aber, wenn Du groͤßer wirſt, Bey vorgekeimeten Verſtande, Begreift Dein Geiſt, daß Du der Fuͤrſt, Der Erbe biſt von einem Lande, Worinnen Milch und Honig fleußt: Dann werden Schmeichler Dich umgeben, Die Deinen witzbegabten Geiſt Bis an die Stern erheben. Dann ſey auf Deiner Hut, o Kind, Bey dem Geſange der Sirenen, Die lieblich und betaͤubend ſind, Und oftmals in den Fuͤrſtenſoͤhnen Die beſten Seelen ſchlimm gemacht; Sie gleichen jener bunten Schlangen, Die liſtig und mit Redepracht Das erſte Weib gefangen. Laß nicht in Deiner jungen Bruſt Den Trieb zur ſtolzen Herrſchſucht ſteigen! Sey ſanft, und finde Deine Luſt, Wenn Du Dich fuͤrſtlich kannſt bezeigen, Großmuͤthig, zaͤrtlich, voll Gefuͤhl Des Mitleids und der Menſchenliebe, So daß Dein Herz im Kinderſpiel Schon fromme Pflichten uͤbe. Jedoch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/256
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/256>, abgerufen am 22.11.2024.