Kein Opferbringen, und kein Flehn Den Hingetragnen weckt, wo düster die Verwesung Auf ewig kaltem Throne sitzt, Wenn Jahr an Jahr zur Neugenesung Dein milder Frühlingsstrahl erhitzt Die winterkrank gewesne Erde, Daß Baum und Pflanze wieder blühn, Und Berg und Thal bekleidet werde Mit wiederfrischem Jugendgrün: Nur Gras und Blumen kannst du wecken Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt, Ihr leblos Haupt, im Sumpf verstecken; Mehr ist dir nicht erlaubt --
Die Könige, die dir geglichen An Größe, Mildigkeit und Macht, Und so wie Laub und Gras verblichen, Die werden nicht hervorgebracht Aus ihren Gräbern, wenn die Schwalbe Durch deine Würkung wieder lebt, Und bäte dich darum die halbe Verwayßte Welt, die mit begräbt Ihr blühend Glück, und Stolz, und Wonne, Du bist ohnmächtig ihrem Ruf -- Du siehst nicht mehr als Morgensonne
Kein Opferbringen, und kein Flehn Den Hingetragnen weckt, wo duͤſter die Verweſung Auf ewig kaltem Throne ſitzt, Wenn Jahr an Jahr zur Neugeneſung Dein milder Fruͤhlingsſtrahl erhitzt Die winterkrank geweſne Erde, Daß Baum und Pflanze wieder bluͤhn, Und Berg und Thal bekleidet werde Mit wiederfriſchem Jugendgruͤn: Nur Gras und Blumen kannſt du wecken Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt, Ihr leblos Haupt, im Sumpf verſtecken; Mehr iſt dir nicht erlaubt —
Die Koͤnige, die dir geglichen An Groͤße, Mildigkeit und Macht, Und ſo wie Laub und Gras verblichen, Die werden nicht hervorgebracht Aus ihren Graͤbern, wenn die Schwalbe Durch deine Wuͤrkung wieder lebt, Und baͤte dich darum die halbe Verwayßte Welt, die mit begraͤbt Ihr bluͤhend Gluͤck, und Stolz, und Wonne, Du biſt ohnmaͤchtig ihrem Ruf — Du ſiehſt nicht mehr als Morgenſonne
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Kein Opferbringen, und kein Flehn
Den Hingetragnen weckt, wo duͤſter die Verweſung
Auf ewig kaltem Throne ſitzt,
Wenn Jahr an Jahr zur Neugeneſung
Dein milder Fruͤhlingsſtrahl erhitzt
Die winterkrank geweſne Erde,
Daß Baum und Pflanze wieder bluͤhn,
Und Berg und Thal bekleidet werde
Mit wiederfriſchem Jugendgruͤn:
Nur Gras und Blumen kannſt du wecken
Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt,
Ihr leblos Haupt, im Sumpf verſtecken;
Mehr iſt dir nicht erlaubt —
Die Koͤnige, die dir geglichen
An Groͤße, Mildigkeit und Macht,
Und ſo wie Laub und Gras verblichen,
Die werden nicht hervorgebracht
Aus ihren Graͤbern, wenn die Schwalbe
Durch deine Wuͤrkung wieder lebt,
Und baͤte dich darum die halbe
Verwayßte Welt, die mit begraͤbt
Ihr bluͤhend Gluͤck, und Stolz, und Wonne,
Du biſt ohnmaͤchtig ihrem Ruf —
Du ſiehſt nicht mehr als Morgenſonne
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/282>, abgerufen am 22.11.2024.
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