Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Kein Opferbringen, und kein Flehn
Den Hingetragnen weckt, wo düster die Verwesung
Auf ewig kaltem Throne sitzt,
Wenn Jahr an Jahr zur Neugenesung
Dein milder Frühlingsstrahl erhitzt
Die winterkrank gewesne Erde,
Daß Baum und Pflanze wieder blühn,
Und Berg und Thal bekleidet werde
Mit wiederfrischem Jugendgrün:
Nur Gras und Blumen kannst du wecken
Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt,
Ihr leblos Haupt, im Sumpf verstecken;
Mehr ist dir nicht erlaubt --

Die Könige, die dir geglichen
An Größe, Mildigkeit und Macht,
Und so wie Laub und Gras verblichen,
Die werden nicht hervorgebracht
Aus ihren Gräbern, wenn die Schwalbe
Durch deine Würkung wieder lebt,
Und bäte dich darum die halbe
Verwayßte Welt, die mit begräbt
Ihr blühend Glück, und Stolz, und Wonne,
Du bist ohnmächtig ihrem Ruf --
Du siehst nicht mehr als Morgensonne

Kein Opferbringen, und kein Flehn
Den Hingetragnen weckt, wo duͤſter die Verweſung
Auf ewig kaltem Throne ſitzt,
Wenn Jahr an Jahr zur Neugeneſung
Dein milder Fruͤhlingsſtrahl erhitzt
Die winterkrank geweſne Erde,
Daß Baum und Pflanze wieder bluͤhn,
Und Berg und Thal bekleidet werde
Mit wiederfriſchem Jugendgruͤn:
Nur Gras und Blumen kannſt du wecken
Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt,
Ihr leblos Haupt, im Sumpf verſtecken;
Mehr iſt dir nicht erlaubt —

Die Koͤnige, die dir geglichen
An Groͤße, Mildigkeit und Macht,
Und ſo wie Laub und Gras verblichen,
Die werden nicht hervorgebracht
Aus ihren Graͤbern, wenn die Schwalbe
Durch deine Wuͤrkung wieder lebt,
Und baͤte dich darum die halbe
Verwayßte Welt, die mit begraͤbt
Ihr bluͤhend Gluͤck, und Stolz, und Wonne,
Du biſt ohnmaͤchtig ihrem Ruf —
Du ſiehſt nicht mehr als Morgenſonne
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <pb facs="#f0282" n="122"/>
                <l>Kein Opferbringen, und kein Flehn</l><lb/>
                <l>Den Hingetragnen weckt, wo du&#x0364;&#x017F;ter die Verwe&#x017F;ung</l><lb/>
                <l>Auf ewig kaltem Throne &#x017F;itzt,</l><lb/>
                <l>Wenn Jahr an Jahr zur Neugene&#x017F;ung</l><lb/>
                <l>Dein milder Fru&#x0364;hlings&#x017F;trahl erhitzt</l><lb/>
                <l>Die winterkrank gewe&#x017F;ne Erde,</l><lb/>
                <l>Daß Baum und Pflanze wieder blu&#x0364;hn,</l><lb/>
                <l>Und Berg und Thal bekleidet werde</l><lb/>
                <l>Mit wiederfri&#x017F;chem Jugendgru&#x0364;n:</l><lb/>
                <l>Nur Gras und Blumen kann&#x017F;t du wecken</l><lb/>
                <l>Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt,</l><lb/>
                <l>Ihr leblos Haupt, im Sumpf ver&#x017F;tecken;</l><lb/>
                <l>Mehr i&#x017F;t dir nicht erlaubt &#x2014;</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Die Ko&#x0364;nige, die dir geglichen</l><lb/>
                <l>An Gro&#x0364;ße, Mildigkeit und Macht,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;o wie Laub und Gras verblichen,</l><lb/>
                <l>Die werden nicht hervorgebracht</l><lb/>
                <l>Aus ihren Gra&#x0364;bern, wenn die Schwalbe</l><lb/>
                <l>Durch deine Wu&#x0364;rkung wieder lebt,</l><lb/>
                <l>Und ba&#x0364;te dich darum die halbe</l><lb/>
                <l>Verwayßte Welt, die mit begra&#x0364;bt</l><lb/>
                <l>Ihr blu&#x0364;hend Glu&#x0364;ck, und Stolz, und Wonne,</l><lb/>
                <l>Du bi&#x017F;t ohnma&#x0364;chtig ihrem Ruf &#x2014;</l><lb/>
                <l>Du &#x017F;ieh&#x017F;t nicht mehr als Morgen&#x017F;onne</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0282] Kein Opferbringen, und kein Flehn Den Hingetragnen weckt, wo duͤſter die Verweſung Auf ewig kaltem Throne ſitzt, Wenn Jahr an Jahr zur Neugeneſung Dein milder Fruͤhlingsſtrahl erhitzt Die winterkrank geweſne Erde, Daß Baum und Pflanze wieder bluͤhn, Und Berg und Thal bekleidet werde Mit wiederfriſchem Jugendgruͤn: Nur Gras und Blumen kannſt du wecken Und Wurm und Schwalben, die ihr Haupt, Ihr leblos Haupt, im Sumpf verſtecken; Mehr iſt dir nicht erlaubt — Die Koͤnige, die dir geglichen An Groͤße, Mildigkeit und Macht, Und ſo wie Laub und Gras verblichen, Die werden nicht hervorgebracht Aus ihren Graͤbern, wenn die Schwalbe Durch deine Wuͤrkung wieder lebt, Und baͤte dich darum die halbe Verwayßte Welt, die mit begraͤbt Ihr bluͤhend Gluͤck, und Stolz, und Wonne, Du biſt ohnmaͤchtig ihrem Ruf — Du ſiehſt nicht mehr als Morgenſonne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/282
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/282>, abgerufen am 22.11.2024.