Die Griechin aber nicht, die meine Leyer trug, So zärtlich war wie ich, nach ihrem Phaon frug Und nach dem Leben nicht; sie flog zum Tode wieder. Nichts blieb uns als ein Brief und zwey beflammte Lieder. Die andern schrieb der Neid sich diebisch heimlich ab, Und endlich fanden sie in einem Brand ihr Grab! O Sapho war berühmt! ihr Volk, ein Volk von Prinzen, Trug seine Dichterin auf viel Gedächtniß-Münzen, Und mancher Künstler hieb ihr Bild in Marmor aus, Und Kenner redeten ihr Lob bey jedem Schmauß. Halb Göttin war das Weib; neun Bücher schrieb sie voll So schön, als wären sie geschrieben vom Apoll. Und ach! von alle dem, was sie so schön geschrieben, Ist nur ein kleiner Rest für unsre Zeit geblieben! Frau, solch ein Schicksal trift auch meine Lieder einst! Wenn Du voll Zärtlichkeit bey meiner Asche weinst. Noch ehe sich an mir die Würmer satt gefressen, Dann, Frau, hat schon die Welt mich und mein Buch vergessen etc.
Die Griechin aber nicht, die meine Leyer trug, So zaͤrtlich war wie ich, nach ihrem Phaon frug Und nach dem Leben nicht; ſie flog zum Tode wieder. Nichts blieb uns als ein Brief und zwey beflammte Lieder. Die andern ſchrieb der Neid ſich diebiſch heimlich ab, Und endlich fanden ſie in einem Brand ihr Grab! O Sapho war beruͤhmt! ihr Volk, ein Volk von Prinzen, Trug ſeine Dichterin auf viel Gedaͤchtniß-Muͤnzen, Und mancher Kuͤnſtler hieb ihr Bild in Marmor aus, Und Kenner redeten ihr Lob bey jedem Schmauß. Halb Goͤttin war das Weib; neun Buͤcher ſchrieb ſie voll So ſchoͤn, als waͤren ſie geſchrieben vom Apoll. Und ach! von alle dem, was ſie ſo ſchoͤn geſchrieben, Iſt nur ein kleiner Reſt fuͤr unſre Zeit geblieben! Frau, ſolch ein Schickſal trift auch meine Lieder einſt! Wenn Du voll Zaͤrtlichkeit bey meiner Aſche weinſt. Noch ehe ſich an mir die Wuͤrmer ſatt gefreſſen, Dann, Frau, hat ſchon die Welt mich und mein Buch vergeſſen ꝛc.
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Die Griechin aber nicht, die meine Leyer trug,
So zaͤrtlich war wie ich, nach ihrem Phaon frug
Und nach dem Leben nicht; ſie flog zum Tode wieder.
Nichts blieb uns als ein Brief und zwey beflammte
Lieder.
Die andern ſchrieb der Neid ſich diebiſch heimlich ab,
Und endlich fanden ſie in einem Brand ihr Grab!
O Sapho war beruͤhmt! ihr Volk, ein Volk von Prinzen,
Trug ſeine Dichterin auf viel Gedaͤchtniß-Muͤnzen,
Und mancher Kuͤnſtler hieb ihr Bild in Marmor aus,
Und Kenner redeten ihr Lob bey jedem Schmauß.
Halb Goͤttin war das Weib; neun Buͤcher ſchrieb ſie voll
So ſchoͤn, als waͤren ſie geſchrieben vom Apoll.
Und ach! von alle dem, was ſie ſo ſchoͤn geſchrieben,
Iſt nur ein kleiner Reſt fuͤr unſre Zeit geblieben!
Frau, ſolch ein Schickſal trift auch meine Lieder einſt!
Wenn Du voll Zaͤrtlichkeit bey meiner Aſche weinſt.
Noch ehe ſich an mir die Wuͤrmer ſatt gefreſſen,
Dann, Frau, hat ſchon die Welt mich und mein Buch
vergeſſen ꝛc.
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/429>, abgerufen am 25.06.2024.
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