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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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Und viele Tausende verschlief ich in der Ruh,
Die mich zum Guten stärken sollte.
Wie wenig Stunden braucht ich wohl
Mich zu dem Schritt vorzubereiten,
Den ich herüber schreiten soll
Ins Thor der unumgränzt -- endlosen Ewigkeiten!
Die Zeit flieht schneller als ein Pfeil,
O möcht ich ihren kleinsten Theil
Noch haschen um ihn anzuwenden!
Möcht' ich den Tag mit deinem Umgang enden,
Und wenn die Sonne mich begrüßt,
Erwachend danken, daß sie meine Tage mißt;
Und wenn der Mond erleuchten kommt die Nächte,
Laß mich ihn sehn und denken, daß
Er auch mir Zeit zur Vorbereitung messe!
Erinnre du mich selbst, daß ich es nicht vergesse,
Mein Körper welkt dahin wie Graß.

Seh ich die Gräber, laß mich nicht erschrecken,
Mich wird auch einst solch kleiner Hügel decken,
Mich trägt man auch, die Hand voll Staub, zu Staub,
Und ich beschuldige mir selber diesen Raub
Der grösten Hälfte meiner Tage;
Nur daß dein Ausruf mirs nicht vor den Engeln sage,
Du Ursprung alles dessen, was da ist.
Herr, der du aller Dinge Anfang bist,
U 2

Und viele Tauſende verſchlief ich in der Ruh,
Die mich zum Guten ſtaͤrken ſollte.
Wie wenig Stunden braucht ich wohl
Mich zu dem Schritt vorzubereiten,
Den ich heruͤber ſchreiten ſoll
Ins Thor der unumgraͤnzt — endloſen Ewigkeiten!
Die Zeit flieht ſchneller als ein Pfeil,
O moͤcht ich ihren kleinſten Theil
Noch haſchen um ihn anzuwenden!
Moͤcht’ ich den Tag mit deinem Umgang enden,
Und wenn die Sonne mich begruͤßt,
Erwachend danken, daß ſie meine Tage mißt;
Und wenn der Mond erleuchten kommt die Naͤchte,
Laß mich ihn ſehn und denken, daß
Er auch mir Zeit zur Vorbereitung meſſe!
Erinnre du mich ſelbſt, daß ich es nicht vergeſſe,
Mein Koͤrper welkt dahin wie Graß.

Seh ich die Graͤber, laß mich nicht erſchrecken,
Mich wird auch einſt ſolch kleiner Huͤgel decken,
Mich traͤgt man auch, die Hand voll Staub, zu Staub,
Und ich beſchuldige mir ſelber dieſen Raub
Der groͤſten Haͤlfte meiner Tage;
Nur daß dein Ausruf mirs nicht vor den Engeln ſage,
Du Urſprung alles deſſen, was da iſt.
Herr, der du aller Dinge Anfang biſt,
U 2
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[307/0467] Und viele Tauſende verſchlief ich in der Ruh, Die mich zum Guten ſtaͤrken ſollte. Wie wenig Stunden braucht ich wohl Mich zu dem Schritt vorzubereiten, Den ich heruͤber ſchreiten ſoll Ins Thor der unumgraͤnzt — endloſen Ewigkeiten! Die Zeit flieht ſchneller als ein Pfeil, O moͤcht ich ihren kleinſten Theil Noch haſchen um ihn anzuwenden! Moͤcht’ ich den Tag mit deinem Umgang enden, Und wenn die Sonne mich begruͤßt, Erwachend danken, daß ſie meine Tage mißt; Und wenn der Mond erleuchten kommt die Naͤchte, Laß mich ihn ſehn und denken, daß Er auch mir Zeit zur Vorbereitung meſſe! Erinnre du mich ſelbſt, daß ich es nicht vergeſſe, Mein Koͤrper welkt dahin wie Graß. Seh ich die Graͤber, laß mich nicht erſchrecken, Mich wird auch einſt ſolch kleiner Huͤgel decken, Mich traͤgt man auch, die Hand voll Staub, zu Staub, Und ich beſchuldige mir ſelber dieſen Raub Der groͤſten Haͤlfte meiner Tage; Nur daß dein Ausruf mirs nicht vor den Engeln ſage, Du Urſprung alles deſſen, was da iſt. Herr, der du aller Dinge Anfang biſt, U 2

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/467>, abgerufen am 22.11.2024.