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Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907.

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wirtschaft, welche den Aermsten die härtesten Auflagen unbarmherzig aufhalst
und durch die wachsende Verteuerung der notwendigen Lebensbedürfnisse die
Massen an die Hungergrenze drängt. Der Bedarf des deutschen Heerwesens ist
ein riesiger, stetig wachsender. Man bedenke, daß die Reichseinnahmen, haupt-
sächlich die Erträge der Zölle und Verbrauchssteuern, zum größten Teil für jenes
verwendet, daß die Anleihen gleichfalls für kriegerische Zwecke aufgenommen
werden.

Jm Jahre 1876/77 nahm das Deutsche Reich die erste Anleihe im Betrage
von 16300000 Mark auf, sein Schuldenstand betrug am 31. März 1877 (Rest
der Bundesschulden usw.) 198433500 Mark. Jm Haushaltsjahr 1903 beliefen
sich die Reichsschulden auf mehr als zweitausend und neunhundert Millionen
Mark. Die Gläubiger des Reichs erhielten 1904 105 Millionen Mark an Zinsen.
Die Ausgaben für Reichsheer und Marine (laufende, einmalige Ausgaben, Pen-
sionsfonds, Jnvalidenfonds) bezifferten sich 1873 auf 382, 1876/77 auf 558,
1887/88 auf 632, 1890/91 auf 827 Millionen, 1904 nach dem Voranschlag auf
1007 Millionen, ohne die Kosten des südwestafrikanischen Abenteuers. Und jede
neue Tagung des Reichstages bringt Forderungen, Nachtrags- und Mehrbe-
willigungen, außerordentliche Ausgaben, welches jedes Jahr so regelmäßig wie
die Schwalben im Frühjahr wiederkehren. Ein ungeheuerer Alp druckt auf die
Brust des deutschen Michel, dem allmählich über "unser herrliches Kriegsheer",
das ihn an den Bettelstab bringt, gar absonderliche Gedanken aufsteigen.

An die Stelle dieser verderblichen Einrichtung, welche das Volk zu Grunde
richtet, sei die Volkswehr gesetzt. Der Waffenfähige, so geschult wie wir oben
gezeigt, muß für die gemeine Sache kämpfend eintreten. Eine Wehrverfassung
regelt die Heranziehung der Einzelnen zum Waffendienste. Jn Friedenszeiten
werden die Wehrfähigen zu kurzen Uebungen eingezogen und sorgsam im Dienst
unterwiesen, für den Krieg aber werden sie auf Grund eines vorbereiteten
Planes in bestimmte Gefüge eingegliedert. Jeder taugliche Bürger sei Wehr-
mann, die Waffen mögen über seinem Herde hängen! Die Volksbewaffnung ist
eine vollendete Tatsache, die lange Dienstzeit, die unerträgliche Ausgabenlast
fallen fort, die Trennung von Bürgern und Heer hört auf, das Volksheer ist ge-
schaffen. Die schweizerische Heeresverfassung, die auf diesen Grundsätzen beruht,
offenbart, was eine Volkswehr auf großer Stufenleiter zu leisten vermag.

Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung.

Lebensfragen, bei denen das Geschick des Gemeinwesens, das Wohl und Wehe
aller auf dem Spiele steht, sind von dem Volke oder von seiner berufenen Ver-
tretung zu entscheiden. Es erhellt, daß da, wo die Sicherheit des Landes, das
Dasein zahlloser Bürger, das Glück Hunderttausender von dem Ausfall einer
Entscheidung abhängt, diejenigen den Ausschlag geben müssen, welche mit Gut
und Blut auf die Schanze treten, die Masse des Volkes. Unter den heutigen Ver-
hältnissen ist indes eine Volksabstimmung über Krieg und Frieden nicht mehr
durchführbar. Bei den Spannungszuständen der Weltpolitik, bei der Raschheit
der Entschließungen tritt das Ereignis oder die Folge von Ereignissen, welche
zum Entscheid über Krieg und Frieden führt, so schnell ein, daß die in Friedens-
zeiten übliche und zulängliche Volksabstimmung als zu schwerfällig sich erweisen
und von den Geschehnissen überholt werden würde. Die von den Wählern be-
stellte Vertretung übernimmt deshalb die schwere und verantwortungsreiche Auf-
gabe, das lösende Wort zu sprechen und den Umständen gemäß so wie das Ge-
meinwohl es erheischt, ohne Haß und ohne Neigung, mit kühler Unbefangenheit
zu handeln. Jm hellen Lichte der Oeffentlichkeit verhandelt die Ratsversamm-
lung, ihre Beratungen und ihr Tun unterliegen der Aufsicht und der Beurteilung
der Wähler. Nur was dem Staate nützlich, was der Augenblick erfordert und
die Sachlage gebietet, wird geschehen. Die Liebe zum Vaterlande ist dann kein

wirtschaft, welche den Aermsten die härtesten Auflagen unbarmherzig aufhalst
und durch die wachsende Verteuerung der notwendigen Lebensbedürfnisse die
Massen an die Hungergrenze drängt. Der Bedarf des deutschen Heerwesens ist
ein riesiger, stetig wachsender. Man bedenke, daß die Reichseinnahmen, haupt-
sächlich die Erträge der Zölle und Verbrauchssteuern, zum größten Teil für jenes
verwendet, daß die Anleihen gleichfalls für kriegerische Zwecke aufgenommen
werden.

Jm Jahre 1876/77 nahm das Deutsche Reich die erste Anleihe im Betrage
von 16300000 Mark auf, sein Schuldenstand betrug am 31. März 1877 (Rest
der Bundesschulden usw.) 198433500 Mark. Jm Haushaltsjahr 1903 beliefen
sich die Reichsschulden auf mehr als zweitausend und neunhundert Millionen
Mark. Die Gläubiger des Reichs erhielten 1904 105 Millionen Mark an Zinsen.
Die Ausgaben für Reichsheer und Marine (laufende, einmalige Ausgaben, Pen-
sionsfonds, Jnvalidenfonds) bezifferten sich 1873 auf 382, 1876/77 auf 558,
1887/88 auf 632, 1890/91 auf 827 Millionen, 1904 nach dem Voranschlag auf
1007 Millionen, ohne die Kosten des südwestafrikanischen Abenteuers. Und jede
neue Tagung des Reichstages bringt Forderungen, Nachtrags- und Mehrbe-
willigungen, außerordentliche Ausgaben, welches jedes Jahr so regelmäßig wie
die Schwalben im Frühjahr wiederkehren. Ein ungeheuerer Alp druckt auf die
Brust des deutschen Michel, dem allmählich über „unser herrliches Kriegsheer“,
das ihn an den Bettelstab bringt, gar absonderliche Gedanken aufsteigen.

An die Stelle dieser verderblichen Einrichtung, welche das Volk zu Grunde
richtet, sei die Volkswehr gesetzt. Der Waffenfähige, so geschult wie wir oben
gezeigt, muß für die gemeine Sache kämpfend eintreten. Eine Wehrverfassung
regelt die Heranziehung der Einzelnen zum Waffendienste. Jn Friedenszeiten
werden die Wehrfähigen zu kurzen Uebungen eingezogen und sorgsam im Dienst
unterwiesen, für den Krieg aber werden sie auf Grund eines vorbereiteten
Planes in bestimmte Gefüge eingegliedert. Jeder taugliche Bürger sei Wehr-
mann, die Waffen mögen über seinem Herde hängen! Die Volksbewaffnung ist
eine vollendete Tatsache, die lange Dienstzeit, die unerträgliche Ausgabenlast
fallen fort, die Trennung von Bürgern und Heer hört auf, das Volksheer ist ge-
schaffen. Die schweizerische Heeresverfassung, die auf diesen Grundsätzen beruht,
offenbart, was eine Volkswehr auf großer Stufenleiter zu leisten vermag.

Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung.

Lebensfragen, bei denen das Geschick des Gemeinwesens, das Wohl und Wehe
aller auf dem Spiele steht, sind von dem Volke oder von seiner berufenen Ver-
tretung zu entscheiden. Es erhellt, daß da, wo die Sicherheit des Landes, das
Dasein zahlloser Bürger, das Glück Hunderttausender von dem Ausfall einer
Entscheidung abhängt, diejenigen den Ausschlag geben müssen, welche mit Gut
und Blut auf die Schanze treten, die Masse des Volkes. Unter den heutigen Ver-
hältnissen ist indes eine Volksabstimmung über Krieg und Frieden nicht mehr
durchführbar. Bei den Spannungszuständen der Weltpolitik, bei der Raschheit
der Entschließungen tritt das Ereignis oder die Folge von Ereignissen, welche
zum Entscheid über Krieg und Frieden führt, so schnell ein, daß die in Friedens-
zeiten übliche und zulängliche Volksabstimmung als zu schwerfällig sich erweisen
und von den Geschehnissen überholt werden würde. Die von den Wählern be-
stellte Vertretung übernimmt deshalb die schwere und verantwortungsreiche Auf-
gabe, das lösende Wort zu sprechen und den Umständen gemäß so wie das Ge-
meinwohl es erheischt, ohne Haß und ohne Neigung, mit kühler Unbefangenheit
zu handeln. Jm hellen Lichte der Oeffentlichkeit verhandelt die Ratsversamm-
lung, ihre Beratungen und ihr Tun unterliegen der Aufsicht und der Beurteilung
der Wähler. Nur was dem Staate nützlich, was der Augenblick erfordert und
die Sachlage gebietet, wird geschehen. Die Liebe zum Vaterlande ist dann kein

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[39/0041] wirtschaft, welche den Aermsten die härtesten Auflagen unbarmherzig aufhalst und durch die wachsende Verteuerung der notwendigen Lebensbedürfnisse die Massen an die Hungergrenze drängt. Der Bedarf des deutschen Heerwesens ist ein riesiger, stetig wachsender. Man bedenke, daß die Reichseinnahmen, haupt- sächlich die Erträge der Zölle und Verbrauchssteuern, zum größten Teil für jenes verwendet, daß die Anleihen gleichfalls für kriegerische Zwecke aufgenommen werden. Jm Jahre 1876/77 nahm das Deutsche Reich die erste Anleihe im Betrage von 16300000 Mark auf, sein Schuldenstand betrug am 31. März 1877 (Rest der Bundesschulden usw.) 198433500 Mark. Jm Haushaltsjahr 1903 beliefen sich die Reichsschulden auf mehr als zweitausend und neunhundert Millionen Mark. Die Gläubiger des Reichs erhielten 1904 105 Millionen Mark an Zinsen. Die Ausgaben für Reichsheer und Marine (laufende, einmalige Ausgaben, Pen- sionsfonds, Jnvalidenfonds) bezifferten sich 1873 auf 382, 1876/77 auf 558, 1887/88 auf 632, 1890/91 auf 827 Millionen, 1904 nach dem Voranschlag auf 1007 Millionen, ohne die Kosten des südwestafrikanischen Abenteuers. Und jede neue Tagung des Reichstages bringt Forderungen, Nachtrags- und Mehrbe- willigungen, außerordentliche Ausgaben, welches jedes Jahr so regelmäßig wie die Schwalben im Frühjahr wiederkehren. Ein ungeheuerer Alp druckt auf die Brust des deutschen Michel, dem allmählich über „unser herrliches Kriegsheer“, das ihn an den Bettelstab bringt, gar absonderliche Gedanken aufsteigen. An die Stelle dieser verderblichen Einrichtung, welche das Volk zu Grunde richtet, sei die Volkswehr gesetzt. Der Waffenfähige, so geschult wie wir oben gezeigt, muß für die gemeine Sache kämpfend eintreten. Eine Wehrverfassung regelt die Heranziehung der Einzelnen zum Waffendienste. Jn Friedenszeiten werden die Wehrfähigen zu kurzen Uebungen eingezogen und sorgsam im Dienst unterwiesen, für den Krieg aber werden sie auf Grund eines vorbereiteten Planes in bestimmte Gefüge eingegliedert. Jeder taugliche Bürger sei Wehr- mann, die Waffen mögen über seinem Herde hängen! Die Volksbewaffnung ist eine vollendete Tatsache, die lange Dienstzeit, die unerträgliche Ausgabenlast fallen fort, die Trennung von Bürgern und Heer hört auf, das Volksheer ist ge- schaffen. Die schweizerische Heeresverfassung, die auf diesen Grundsätzen beruht, offenbart, was eine Volkswehr auf großer Stufenleiter zu leisten vermag. Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Lebensfragen, bei denen das Geschick des Gemeinwesens, das Wohl und Wehe aller auf dem Spiele steht, sind von dem Volke oder von seiner berufenen Ver- tretung zu entscheiden. Es erhellt, daß da, wo die Sicherheit des Landes, das Dasein zahlloser Bürger, das Glück Hunderttausender von dem Ausfall einer Entscheidung abhängt, diejenigen den Ausschlag geben müssen, welche mit Gut und Blut auf die Schanze treten, die Masse des Volkes. Unter den heutigen Ver- hältnissen ist indes eine Volksabstimmung über Krieg und Frieden nicht mehr durchführbar. Bei den Spannungszuständen der Weltpolitik, bei der Raschheit der Entschließungen tritt das Ereignis oder die Folge von Ereignissen, welche zum Entscheid über Krieg und Frieden führt, so schnell ein, daß die in Friedens- zeiten übliche und zulängliche Volksabstimmung als zu schwerfällig sich erweisen und von den Geschehnissen überholt werden würde. Die von den Wählern be- stellte Vertretung übernimmt deshalb die schwere und verantwortungsreiche Auf- gabe, das lösende Wort zu sprechen und den Umständen gemäß so wie das Ge- meinwohl es erheischt, ohne Haß und ohne Neigung, mit kühler Unbefangenheit zu handeln. Jm hellen Lichte der Oeffentlichkeit verhandelt die Ratsversamm- lung, ihre Beratungen und ihr Tun unterliegen der Aufsicht und der Beurteilung der Wähler. Nur was dem Staate nützlich, was der Augenblick erfordert und die Sachlage gebietet, wird geschehen. Die Liebe zum Vaterlande ist dann kein

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-08T17:50:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-08T17:50:02Z)

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Zitationshilfe: Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kautsky_grundsaetze_1907/41>, abgerufen am 23.11.2024.