Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.großes schwarzes Mailänder Halstuch mit rothem Rande, das sie nur selten getragen und er schon früher gern gehabt hätte. Er schlang es um den Hals und ließ die langen Zipfel fliegen, auch stellte er zum ersten Mal den Hemdkragen, den er sonst immer umgeschlagen, ehrbar und männlich in die Höhe, bis über die Ohren hinauf, in einer Anwandlung ländlichen Stolzes, und machte sich dann, seine Schuhe in der Brusttasche des Rockes, schon nach sieben Uhr auf den Weg. Als er die Stube verließ, drängte ihn ein seltsames Gefühl, Vater und Mutter die Hand zu geben, und auf der Straße sah er sich noch einmal nach dem Hause um. Ich glaube am Ende, sagte Manz, der Bursche streicht irgend einem Weibsbild nach, das hätten wir gerade noch nöthig! -- Die Frau sagte: O wollte Gott, daß er vielleicht ein Glück machte! das thäte dem armen Buben gut! -- Richtig! sagte der Mann, das fehlt nicht! das wird ein himmlisches Glück geben, wenn er nur erst an ein solche Maultasche zu gerathen das Unglück hat! Das thäte dem armen Bübeli gut! natürlich! Sali richtete seinen Schritt erst nach dem Flusse zu, wo er Vrenchen erwarten wollte; aber unterwegs ward er anderen Sinnes und ging geradezu ins Dorf, um Vrenchen im Hause selbst abzuholen, weil es ihm zu lang währte bis halb eilf. Was kümmern uns die Leute! dachte er. Niemand hilft uns, und ich bin ehrlich und fürchte niemand! So trat er unerwartet in Vrenchens Stube, und eben so unerwartet fand er es großes schwarzes Mailänder Halstuch mit rothem Rande, das sie nur selten getragen und er schon früher gern gehabt hätte. Er schlang es um den Hals und ließ die langen Zipfel fliegen, auch stellte er zum ersten Mal den Hemdkragen, den er sonst immer umgeschlagen, ehrbar und männlich in die Höhe, bis über die Ohren hinauf, in einer Anwandlung ländlichen Stolzes, und machte sich dann, seine Schuhe in der Brusttasche des Rockes, schon nach sieben Uhr auf den Weg. Als er die Stube verließ, drängte ihn ein seltsames Gefühl, Vater und Mutter die Hand zu geben, und auf der Straße sah er sich noch einmal nach dem Hause um. Ich glaube am Ende, sagte Manz, der Bursche streicht irgend einem Weibsbild nach, das hätten wir gerade noch nöthig! — Die Frau sagte: O wollte Gott, daß er vielleicht ein Glück machte! das thäte dem armen Buben gut! — Richtig! sagte der Mann, das fehlt nicht! das wird ein himmlisches Glück geben, wenn er nur erst an ein solche Maultasche zu gerathen das Unglück hat! Das thäte dem armen Bübeli gut! natürlich! Sali richtete seinen Schritt erst nach dem Flusse zu, wo er Vrenchen erwarten wollte; aber unterwegs ward er anderen Sinnes und ging geradezu ins Dorf, um Vrenchen im Hause selbst abzuholen, weil es ihm zu lang währte bis halb eilf. Was kümmern uns die Leute! dachte er. Niemand hilft uns, und ich bin ehrlich und fürchte niemand! So trat er unerwartet in Vrenchens Stube, und eben so unerwartet fand er es <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0080"/> großes schwarzes Mailänder Halstuch mit rothem Rande, das sie nur selten getragen und er schon früher gern gehabt hätte. Er schlang es um den Hals und ließ die langen Zipfel fliegen, auch stellte er zum ersten Mal den Hemdkragen, den er sonst immer umgeschlagen, ehrbar und männlich in die Höhe, bis über die Ohren hinauf, in einer Anwandlung ländlichen Stolzes, und machte sich dann, seine Schuhe in der Brusttasche des Rockes, schon nach sieben Uhr auf den Weg. Als er die Stube verließ, drängte ihn ein seltsames Gefühl, Vater und Mutter die Hand zu geben, und auf der Straße sah er sich noch einmal nach dem Hause um. Ich glaube am Ende, sagte Manz, der Bursche streicht irgend einem Weibsbild nach, das hätten wir gerade noch nöthig! — Die Frau sagte: O wollte Gott, daß er vielleicht ein Glück machte! das thäte dem armen Buben gut! — Richtig! sagte der Mann, das fehlt nicht! das wird ein himmlisches Glück geben, wenn er nur erst an ein solche Maultasche zu gerathen das Unglück hat! Das thäte dem armen Bübeli gut! natürlich!</p><lb/> <p>Sali richtete seinen Schritt erst nach dem Flusse zu, wo er Vrenchen erwarten wollte; aber unterwegs ward er anderen Sinnes und ging geradezu ins Dorf, um Vrenchen im Hause selbst abzuholen, weil es ihm zu lang währte bis halb eilf. Was kümmern uns die Leute! dachte er. Niemand hilft uns, und ich bin ehrlich und fürchte niemand! So trat er unerwartet in Vrenchens Stube, und eben so unerwartet fand er es<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
großes schwarzes Mailänder Halstuch mit rothem Rande, das sie nur selten getragen und er schon früher gern gehabt hätte. Er schlang es um den Hals und ließ die langen Zipfel fliegen, auch stellte er zum ersten Mal den Hemdkragen, den er sonst immer umgeschlagen, ehrbar und männlich in die Höhe, bis über die Ohren hinauf, in einer Anwandlung ländlichen Stolzes, und machte sich dann, seine Schuhe in der Brusttasche des Rockes, schon nach sieben Uhr auf den Weg. Als er die Stube verließ, drängte ihn ein seltsames Gefühl, Vater und Mutter die Hand zu geben, und auf der Straße sah er sich noch einmal nach dem Hause um. Ich glaube am Ende, sagte Manz, der Bursche streicht irgend einem Weibsbild nach, das hätten wir gerade noch nöthig! — Die Frau sagte: O wollte Gott, daß er vielleicht ein Glück machte! das thäte dem armen Buben gut! — Richtig! sagte der Mann, das fehlt nicht! das wird ein himmlisches Glück geben, wenn er nur erst an ein solche Maultasche zu gerathen das Unglück hat! Das thäte dem armen Bübeli gut! natürlich!
Sali richtete seinen Schritt erst nach dem Flusse zu, wo er Vrenchen erwarten wollte; aber unterwegs ward er anderen Sinnes und ging geradezu ins Dorf, um Vrenchen im Hause selbst abzuholen, weil es ihm zu lang währte bis halb eilf. Was kümmern uns die Leute! dachte er. Niemand hilft uns, und ich bin ehrlich und fürchte niemand! So trat er unerwartet in Vrenchens Stube, und eben so unerwartet fand er es
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Zitationshilfe: | Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/80>, abgerufen am 30.07.2024. |