Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

emsigen Volke, nach dem dunkeln schweren Rath¬
hause, das aus dem Flusse emporsteigt. Stolz
neben diesen Gestalten hin rasseln diplomatische
Fremdlinge über die Brücken in wunderlichem
Aufputze, und ihre komischen Livreen ergötzen,
wie billig, einen Augenblick lang das einfache
Volk. Zwischen durch steuert der deutsche Ge¬
lehrte mit gedankenschwerer Stirne nach seinem
Hörsaal; sein Herz ist nicht hier, es weilt im
Norden, wo seine tiefsinnigen Brüder, in zerrisse¬
nen Pergamenten lesend, finstere Dämonen be¬
schwörend, sich ein Vaterland und ein Gesetz zu
gründen trachten. Ausgeworfen von der Gäh¬
rung dieses großen Experimentes, begegnet ihm
der Flüchtling mit unsichern, zweifelhaften Augen
und kummervollen Mienen und vermehrt die
Mannigfaltigkeit und Bedeutung dieses Treibens.
Jetzt ertönt das Getöse des Marktes von einer
breiten Brücke über unserm Kopfe; Gewerk und
Gewerb summt längs des Flusses und trübt ihn
theilweise, bis die rauchende Häusermasse einer
der größten industriellen Werkstätten voll Ham¬
mergetönes und Essensprühen das Bild schließt.

1 *

emſigen Volke, nach dem dunkeln ſchweren Rath¬
hauſe, das aus dem Fluſſe emporſteigt. Stolz
neben dieſen Geſtalten hin raſſeln diplomatiſche
Fremdlinge uͤber die Bruͤcken in wunderlichem
Aufputze, und ihre komiſchen Livreen ergoͤtzen,
wie billig, einen Augenblick lang das einfache
Volk. Zwiſchen durch ſteuert der deutſche Ge¬
lehrte mit gedankenſchwerer Stirne nach ſeinem
Hoͤrſaal; ſein Herz iſt nicht hier, es weilt im
Norden, wo ſeine tiefſinnigen Bruͤder, in zerriſſe¬
nen Pergamenten leſend, finſtere Daͤmonen be¬
ſchwoͤrend, ſich ein Vaterland und ein Geſetz zu
gruͤnden trachten. Ausgeworfen von der Gaͤh¬
rung dieſes großen Experimentes, begegnet ihm
der Fluͤchtling mit unſichern, zweifelhaften Augen
und kummervollen Mienen und vermehrt die
Mannigfaltigkeit und Bedeutung dieſes Treibens.
Jetzt ertoͤnt das Getoͤſe des Marktes von einer
breiten Bruͤcke uͤber unſerm Kopfe; Gewerk und
Gewerb ſummt laͤngs des Fluſſes und truͤbt ihn
theilweiſe, bis die rauchende Haͤuſermaſſe einer
der groͤßten induſtriellen Werkſtaͤtten voll Ham¬
mergetoͤnes und Eſſenſpruͤhen das Bild ſchließt.

1 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="3"/>
em&#x017F;igen Volke, nach dem dunkeln &#x017F;chweren Rath¬<lb/>
hau&#x017F;e, das aus dem Flu&#x017F;&#x017F;e empor&#x017F;teigt. Stolz<lb/>
neben die&#x017F;en Ge&#x017F;talten hin ra&#x017F;&#x017F;eln diplomati&#x017F;che<lb/>
Fremdlinge u&#x0364;ber die Bru&#x0364;cken in wunderlichem<lb/>
Aufputze, und ihre komi&#x017F;chen Livreen ergo&#x0364;tzen,<lb/>
wie billig, einen Augenblick lang das einfache<lb/>
Volk. Zwi&#x017F;chen durch &#x017F;teuert der deut&#x017F;che Ge¬<lb/>
lehrte mit gedanken&#x017F;chwerer Stirne nach &#x017F;einem<lb/>
Ho&#x0364;r&#x017F;aal; &#x017F;ein Herz i&#x017F;t nicht hier, es weilt im<lb/>
Norden, wo &#x017F;eine tief&#x017F;innigen Bru&#x0364;der, in zerri&#x017F;&#x017F;<lb/>
nen Pergamenten le&#x017F;end, fin&#x017F;tere Da&#x0364;monen be¬<lb/>
&#x017F;chwo&#x0364;rend, &#x017F;ich ein Vaterland und ein Ge&#x017F;etz zu<lb/>
gru&#x0364;nden trachten. Ausgeworfen von der Ga&#x0364;<lb/>
rung die&#x017F;es großen Experimentes, begegnet ihm<lb/>
der Flu&#x0364;chtling mit un&#x017F;ichern, zweifelhaften Augen<lb/>
und kummervollen Mienen und vermehrt die<lb/>
Mannigfaltigkeit und Bedeutung die&#x017F;es Treibens.<lb/>
Jetzt erto&#x0364;nt das Geto&#x0364;&#x017F;e des Marktes von einer<lb/>
breiten Bru&#x0364;cke u&#x0364;ber un&#x017F;erm Kopfe; Gewerk und<lb/>
Gewerb &#x017F;ummt la&#x0364;ngs des Flu&#x017F;&#x017F;es und tru&#x0364;bt ihn<lb/>
theilwei&#x017F;e, bis die rauchende Ha&#x0364;u&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;e einer<lb/>
der gro&#x0364;ßten indu&#x017F;triellen Werk&#x017F;ta&#x0364;tten voll Ham¬<lb/>
mergeto&#x0364;nes und E&#x017F;&#x017F;en&#x017F;pru&#x0364;hen das Bild &#x017F;chließt.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0017] emſigen Volke, nach dem dunkeln ſchweren Rath¬ hauſe, das aus dem Fluſſe emporſteigt. Stolz neben dieſen Geſtalten hin raſſeln diplomatiſche Fremdlinge uͤber die Bruͤcken in wunderlichem Aufputze, und ihre komiſchen Livreen ergoͤtzen, wie billig, einen Augenblick lang das einfache Volk. Zwiſchen durch ſteuert der deutſche Ge¬ lehrte mit gedankenſchwerer Stirne nach ſeinem Hoͤrſaal; ſein Herz iſt nicht hier, es weilt im Norden, wo ſeine tiefſinnigen Bruͤder, in zerriſſe¬ nen Pergamenten leſend, finſtere Daͤmonen be¬ ſchwoͤrend, ſich ein Vaterland und ein Geſetz zu gruͤnden trachten. Ausgeworfen von der Gaͤh¬ rung dieſes großen Experimentes, begegnet ihm der Fluͤchtling mit unſichern, zweifelhaften Augen und kummervollen Mienen und vermehrt die Mannigfaltigkeit und Bedeutung dieſes Treibens. Jetzt ertoͤnt das Getoͤſe des Marktes von einer breiten Bruͤcke uͤber unſerm Kopfe; Gewerk und Gewerb ſummt laͤngs des Fluſſes und truͤbt ihn theilweiſe, bis die rauchende Haͤuſermaſſe einer der groͤßten induſtriellen Werkſtaͤtten voll Ham¬ mergetoͤnes und Eſſenſpruͤhen das Bild ſchließt. 1 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/17
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/17>, abgerufen am 24.11.2024.