und deren Theilnehmer längst in ihren Gräbern vermodert waren. Dann stellten sie sich darüber zur Rede, welchen Grund das Eine denn zu ha¬ ben glaube, das Andere überleben zu können? und verfielen in einen elenden Wettstreit, welches von ihnen wohl noch die Genugthuung haben werde, das Andere todt vor sich zu sehen. Wenn man am Tage darauf in ihr Haus kam, so wurde der gräuliche Streit vor jedem Eintreten¬ den, ob fremd oder bekannt, fortgeführt, bis die Frau erschöpft war und in Weinen und Beten verfiel, indeß der Mann anscheinend munterer wurde, lustige Weisen pfiff, sich einen Pfann¬ kuchen backte und fortwährend irgend eine Flause dazu hermurmelte. Er konnte auf diese Weise einen ganzen Morgen hindurch Nichts sagen, als immer: Einundfunfzig! einundfunfzig! ein¬ undfunfzig! oder zur Abwechslung einmal: Ich weiß nicht, ich glaube immer, die alte Kunzin da drüben ist heute früh spazieren geritten! sie hat gestern einen neuen Besen gekauft! ich habe so was in der Luft flattern sehen, das sah unge¬ fähr aus, wie ihr rother Unterrock; sonderbar!
I. 14
und deren Theilnehmer laͤngſt in ihren Graͤbern vermodert waren. Dann ſtellten ſie ſich daruͤber zur Rede, welchen Grund das Eine denn zu ha¬ ben glaube, das Andere uͤberleben zu koͤnnen? und verfielen in einen elenden Wettſtreit, welches von ihnen wohl noch die Genugthuung haben werde, das Andere todt vor ſich zu ſehen. Wenn man am Tage darauf in ihr Haus kam, ſo wurde der graͤuliche Streit vor jedem Eintreten¬ den, ob fremd oder bekannt, fortgefuͤhrt, bis die Frau erſchoͤpft war und in Weinen und Beten verfiel, indeß der Mann anſcheinend munterer wurde, luſtige Weiſen pfiff, ſich einen Pfann¬ kuchen backte und fortwaͤhrend irgend eine Flauſe dazu hermurmelte. Er konnte auf dieſe Weiſe einen ganzen Morgen hindurch Nichts ſagen, als immer: Einundfunfzig! einundfunfzig! ein¬ undfunfzig! oder zur Abwechslung einmal: Ich weiß nicht, ich glaube immer, die alte Kunzin da druͤben iſt heute fruͤh ſpazieren geritten! ſie hat geſtern einen neuen Beſen gekauft! ich habe ſo was in der Luft flattern ſehen, das ſah unge¬ faͤhr aus, wie ihr rother Unterrock; ſonderbar!
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und deren Theilnehmer laͤngſt in ihren Graͤbern
vermodert waren. Dann ſtellten ſie ſich daruͤber
zur Rede, welchen Grund das Eine denn zu ha¬
ben glaube, das Andere uͤberleben zu koͤnnen?
und verfielen in einen elenden Wettſtreit, welches
von ihnen wohl noch die Genugthuung haben
werde, das Andere todt vor ſich zu ſehen. Wenn
man am Tage darauf in ihr Haus kam, ſo
wurde der graͤuliche Streit vor jedem Eintreten¬
den, ob fremd oder bekannt, fortgefuͤhrt, bis die
Frau erſchoͤpft war und in Weinen und Beten
verfiel, indeß der Mann anſcheinend munterer
wurde, luſtige Weiſen pfiff, ſich einen Pfann¬
kuchen backte und fortwaͤhrend irgend eine Flauſe
dazu hermurmelte. Er konnte auf dieſe Weiſe
einen ganzen Morgen hindurch Nichts ſagen,
als immer: Einundfunfzig! einundfunfzig! ein¬
undfunfzig! oder zur Abwechslung einmal: Ich
weiß nicht, ich glaube immer, die alte Kunzin
da druͤben iſt heute fruͤh ſpazieren geritten! ſie
hat geſtern einen neuen Beſen gekauft! ich habe
ſo was in der Luft flattern ſehen, das ſah unge¬
faͤhr aus, wie ihr rother Unterrock; ſonderbar!
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/223>, abgerufen am 21.11.2024.
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