soldatischen Schritt gegen ihr Gänsegetrippel hervorzuheben suchten. Ich weiß nicht, war es eine artige herkömmliche Vergessenheit, oder eine Pietät, oder gar eine Absicht, daß es erlaubt war, Blumen mitzubringen und während des Unterrichts in den Händen zu halten, wenigstens habe ich diese hübsche Licenz in keiner andern Schule mehr gefunden; aber es war immer gut anzusehen während des lustigen Marsches, wie fast jedes Mädchen eine Rose oder eine Nelke in den Fingern auf dem Rücken hielt, während die Buben die Blumen im Munde trugen, wie Tabakspfeifen, oder dieselben burschikos hinter die Ohren steckten. Es waren alles Kinder von Holzhackern, Tagelöhnern, armen Schneidern, Schustern und von almosengenössigen Leuten. Habliche Handwerker durften ihres Ranges und Credits wegen die Schule nicht benutzen. Da¬ her war ich der best und reinlichst gekleidete unter den Buben und galt für halb vornehm, obgleich ich bald sehr vertraulich war mit den buntscheckig geflickten armen Teufeln, ihren Sit¬ ten und Gewohnheiten, insofern sie mir nicht
ſoldatiſchen Schritt gegen ihr Gaͤnſegetrippel hervorzuheben ſuchten. Ich weiß nicht, war es eine artige herkoͤmmliche Vergeſſenheit, oder eine Pietaͤt, oder gar eine Abſicht, daß es erlaubt war, Blumen mitzubringen und waͤhrend des Unterrichts in den Haͤnden zu halten, wenigſtens habe ich dieſe huͤbſche Licenz in keiner andern Schule mehr gefunden; aber es war immer gut anzuſehen waͤhrend des luſtigen Marſches, wie faſt jedes Maͤdchen eine Roſe oder eine Nelke in den Fingern auf dem Ruͤcken hielt, waͤhrend die Buben die Blumen im Munde trugen, wie Tabakspfeifen, oder dieſelben burſchikos hinter die Ohren ſteckten. Es waren alles Kinder von Holzhackern, Tageloͤhnern, armen Schneidern, Schuſtern und von almoſengenoͤſſigen Leuten. Habliche Handwerker durften ihres Ranges und Credits wegen die Schule nicht benutzen. Da¬ her war ich der beſt und reinlichſt gekleidete unter den Buben und galt fuͤr halb vornehm, obgleich ich bald ſehr vertraulich war mit den buntſcheckig geflickten armen Teufeln, ihren Sit¬ ten und Gewohnheiten, inſofern ſie mir nicht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0244"n="230"/>ſoldatiſchen Schritt gegen ihr Gaͤnſegetrippel<lb/>
hervorzuheben ſuchten. Ich weiß nicht, war es<lb/>
eine artige herkoͤmmliche Vergeſſenheit, oder eine<lb/>
Pietaͤt, oder gar eine Abſicht, daß es erlaubt<lb/>
war, Blumen mitzubringen und waͤhrend des<lb/>
Unterrichts in den Haͤnden zu halten, wenigſtens<lb/>
habe ich dieſe huͤbſche Licenz in keiner andern<lb/>
Schule mehr gefunden; aber es war immer gut<lb/>
anzuſehen waͤhrend des luſtigen Marſches, wie<lb/>
faſt jedes Maͤdchen eine Roſe oder eine Nelke in<lb/>
den Fingern auf dem Ruͤcken hielt, waͤhrend die<lb/>
Buben die Blumen im Munde trugen, wie<lb/>
Tabakspfeifen, oder dieſelben burſchikos hinter<lb/>
die Ohren ſteckten. Es waren alles Kinder von<lb/>
Holzhackern, Tageloͤhnern, armen Schneidern,<lb/>
Schuſtern und von almoſengenoͤſſigen Leuten.<lb/>
Habliche Handwerker durften ihres Ranges und<lb/>
Credits wegen die Schule nicht benutzen. Da¬<lb/>
her war ich der beſt und reinlichſt gekleidete<lb/>
unter den Buben und galt fuͤr halb vornehm,<lb/>
obgleich ich bald ſehr vertraulich war mit den<lb/>
buntſcheckig geflickten armen Teufeln, ihren Sit¬<lb/>
ten und Gewohnheiten, inſofern ſie mir nicht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[230/0244]
ſoldatiſchen Schritt gegen ihr Gaͤnſegetrippel
hervorzuheben ſuchten. Ich weiß nicht, war es
eine artige herkoͤmmliche Vergeſſenheit, oder eine
Pietaͤt, oder gar eine Abſicht, daß es erlaubt
war, Blumen mitzubringen und waͤhrend des
Unterrichts in den Haͤnden zu halten, wenigſtens
habe ich dieſe huͤbſche Licenz in keiner andern
Schule mehr gefunden; aber es war immer gut
anzuſehen waͤhrend des luſtigen Marſches, wie
faſt jedes Maͤdchen eine Roſe oder eine Nelke in
den Fingern auf dem Ruͤcken hielt, waͤhrend die
Buben die Blumen im Munde trugen, wie
Tabakspfeifen, oder dieſelben burſchikos hinter
die Ohren ſteckten. Es waren alles Kinder von
Holzhackern, Tageloͤhnern, armen Schneidern,
Schuſtern und von almoſengenoͤſſigen Leuten.
Habliche Handwerker durften ihres Ranges und
Credits wegen die Schule nicht benutzen. Da¬
her war ich der beſt und reinlichſt gekleidete
unter den Buben und galt fuͤr halb vornehm,
obgleich ich bald ſehr vertraulich war mit den
buntſcheckig geflickten armen Teufeln, ihren Sit¬
ten und Gewohnheiten, inſofern ſie mir nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/244>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.