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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Die Brust des jungen Menschen hob und
senkte sich sehr stark; aber seine Seele war so
keusch, daß er vor allem pathetischen Verweilen,
vor aller Selbstgefälligkeit solcher Augenblicke
floh, ehe sich obige wenigen Sätze in seinem
Sinne deutlich entwickeln konnten. Also drehte
er sich wie der Blitz auf seinem Absatze herum
und eilte, nach Norden und Westen zu schauen.
Die Sonne war aufgegangen; während im Sü¬
den die Alpenkette nun im fröhlichsten hellsten
Golde glänzte, hatte das westliche und nördliche
flache Land, gegen das Rheingebiet hin, die Ro¬
senfarbe des Morgens angenommen, besonders,
wo sich die laublosen, für diese Farbe empfäng¬
lichen Waldungen und violetten Brachfelder dehn¬
ten; was junggrünes Saatland war, schimmerte
mehr silbergrau in der Ferne. Von Schnee war
außer dem Gebirge keine Spur mehr zu finden;
aber das wenige Grün war noch trocken und
thaulos.

Die Tiefe des Himmels und mit ihr das
Gewässer waren jetzt blau und das Land sonnig
geworden. Nur der untere Theil der Stadt und

Die Bruſt des jungen Menſchen hob und
ſenkte ſich ſehr ſtark; aber ſeine Seele war ſo
keuſch, daß er vor allem pathetiſchen Verweilen,
vor aller Selbſtgefaͤlligkeit ſolcher Augenblicke
floh, ehe ſich obige wenigen Saͤtze in ſeinem
Sinne deutlich entwickeln konnten. Alſo drehte
er ſich wie der Blitz auf ſeinem Abſatze herum
und eilte, nach Norden und Weſten zu ſchauen.
Die Sonne war aufgegangen; waͤhrend im Suͤ¬
den die Alpenkette nun im froͤhlichſten hellſten
Golde glaͤnzte, hatte das weſtliche und noͤrdliche
flache Land, gegen das Rheingebiet hin, die Ro¬
ſenfarbe des Morgens angenommen, beſonders,
wo ſich die laubloſen, fuͤr dieſe Farbe empfaͤng¬
lichen Waldungen und violetten Brachfelder dehn¬
ten; was junggruͤnes Saatland war, ſchimmerte
mehr ſilbergrau in der Ferne. Von Schnee war
außer dem Gebirge keine Spur mehr zu finden;
aber das wenige Gruͤn war noch trocken und
thaulos.

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Gewaͤſſer waren jetzt blau und das Land ſonnig
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[11/0025] Die Bruſt des jungen Menſchen hob und ſenkte ſich ſehr ſtark; aber ſeine Seele war ſo keuſch, daß er vor allem pathetiſchen Verweilen, vor aller Selbſtgefaͤlligkeit ſolcher Augenblicke floh, ehe ſich obige wenigen Saͤtze in ſeinem Sinne deutlich entwickeln konnten. Alſo drehte er ſich wie der Blitz auf ſeinem Abſatze herum und eilte, nach Norden und Weſten zu ſchauen. Die Sonne war aufgegangen; waͤhrend im Suͤ¬ den die Alpenkette nun im froͤhlichſten hellſten Golde glaͤnzte, hatte das weſtliche und noͤrdliche flache Land, gegen das Rheingebiet hin, die Ro¬ ſenfarbe des Morgens angenommen, beſonders, wo ſich die laubloſen, fuͤr dieſe Farbe empfaͤng¬ lichen Waldungen und violetten Brachfelder dehn¬ ten; was junggruͤnes Saatland war, ſchimmerte mehr ſilbergrau in der Ferne. Von Schnee war außer dem Gebirge keine Spur mehr zu finden; aber das wenige Gruͤn war noch trocken und thaulos. Die Tiefe des Himmels und mit ihr das Gewaͤſſer waren jetzt blau und das Land ſonnig geworden. Nur der untere Theil der Stadt und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/25>, abgerufen am 24.11.2024.