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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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ein Anflug von Gelehrsamkeit dazu, mich in die
Bibel zu vertiefen und ein ergiebiges Quellen¬
studium zu betreiben, da der hohe Schwung der
Sprache für das Kind unzugänglich war und
nur Stoff zum Lächerlichmachen dessen gab, was
ich nicht begriff.

Ich betrachte diese halb gottlose Zeit gerade
der weichsten und bildsamsten Jahre, welche deren
wohl sieben bis achte andauerte, als eine kalte
öde Strecke, und weise die Schuld einzig auf
den Katechismus und seine Handhaber. Denn
wenn ich recht scharf in jenen vergangenen däm¬
merhaften Seelenzustand zurückzudringen versuche,
so entdecke ich noch wohl, daß ich den Gott meiner
Kindheit nicht liebte, sondern nur brauchte, und
daß damit das lebendige Gefühl der Liebe auch
für alles übrige Leben nicht zum Erwachen kam
und nur schwer durch die unnatürlich übergewor¬
fene Eisdecke dringen konnte. Jetzt erst wird
mir der trübe kalte Schleier ganz deutlich, wel¬
cher über jener Zeit liegt und mir dazumal die
Hälfte des Lebens verhüllte, mich blöde und
scheu machte, daß ich die Leute nicht verstand

ein Anflug von Gelehrſamkeit dazu, mich in die
Bibel zu vertiefen und ein ergiebiges Quellen¬
ſtudium zu betreiben, da der hohe Schwung der
Sprache fuͤr das Kind unzugaͤnglich war und
nur Stoff zum Laͤcherlichmachen deſſen gab, was
ich nicht begriff.

Ich betrachte dieſe halb gottloſe Zeit gerade
der weichſten und bildſamſten Jahre, welche deren
wohl ſieben bis achte andauerte, als eine kalte
oͤde Strecke, und weiſe die Schuld einzig auf
den Katechismus und ſeine Handhaber. Denn
wenn ich recht ſcharf in jenen vergangenen daͤm¬
merhaften Seelenzuſtand zuruͤckzudringen verſuche,
ſo entdecke ich noch wohl, daß ich den Gott meiner
Kindheit nicht liebte, ſondern nur brauchte, und
daß damit das lebendige Gefuͤhl der Liebe auch
fuͤr alles uͤbrige Leben nicht zum Erwachen kam
und nur ſchwer durch die unnatuͤrlich uͤbergewor¬
fene Eisdecke dringen konnte. Jetzt erſt wird
mir der truͤbe kalte Schleier ganz deutlich, wel¬
cher uͤber jener Zeit liegt und mir dazumal die
Haͤlfte des Lebens verhuͤllte, mich bloͤde und
ſcheu machte, daß ich die Leute nicht verſtand

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[242/0256] ein Anflug von Gelehrſamkeit dazu, mich in die Bibel zu vertiefen und ein ergiebiges Quellen¬ ſtudium zu betreiben, da der hohe Schwung der Sprache fuͤr das Kind unzugaͤnglich war und nur Stoff zum Laͤcherlichmachen deſſen gab, was ich nicht begriff. Ich betrachte dieſe halb gottloſe Zeit gerade der weichſten und bildſamſten Jahre, welche deren wohl ſieben bis achte andauerte, als eine kalte oͤde Strecke, und weiſe die Schuld einzig auf den Katechismus und ſeine Handhaber. Denn wenn ich recht ſcharf in jenen vergangenen daͤm¬ merhaften Seelenzuſtand zuruͤckzudringen verſuche, ſo entdecke ich noch wohl, daß ich den Gott meiner Kindheit nicht liebte, ſondern nur brauchte, und daß damit das lebendige Gefuͤhl der Liebe auch fuͤr alles uͤbrige Leben nicht zum Erwachen kam und nur ſchwer durch die unnatuͤrlich uͤbergewor¬ fene Eisdecke dringen konnte. Jetzt erſt wird mir der truͤbe kalte Schleier ganz deutlich, wel¬ cher uͤber jener Zeit liegt und mir dazumal die Haͤlfte des Lebens verhuͤllte, mich bloͤde und ſcheu machte, daß ich die Leute nicht verſtand

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/256>, abgerufen am 22.11.2024.