dem Epheugewebe hinunter, über den Kirchhof, wieder hinunter, durch das Thor über die Brücke, unter welcher die Wasserleitung auch mit hinüber ging. Doch auf der Mitte der Brücke, von wo man unter den dunklen Bogen des Gebälkes die schönste Aussicht über den glänzenden See hin genießt, selbst über dem Wasser schwebend, ver¬ gaß er seinen Beruf und ließ das arme Schlüs¬ selblümchen allein den Berg wieder hinaufgehen. Als er sich endlich erinnerte und zum Brunnen hinanstieg, drehte es sich schon emsig in dem Wirbel unter dem Wasserstrahle herum und konnte nicht hinaus kommen. Er steckte es zu dem Fe¬ derchen auf seiner Mütze und schlenderte endlich seiner Wohnung zu durch alle die Gassen, in welche überall die Alpen blau und silbern hinein¬ leuchteten. Jedes Bild, klein oder groß, war mit diesem bedeutenden Grunde versehen: vor der niedrigen Wohnung armer Leute stand Heinrich still und guckte durch die Fensterlein, die, einan¬ der entsprechend, an zwei Wänden angebracht waren, quer durch das braune Gerümpel in die blendende Ferne, welche durch das jenseitige
dem Epheugewebe hinunter, uͤber den Kirchhof, wieder hinunter, durch das Thor uͤber die Bruͤcke, unter welcher die Waſſerleitung auch mit hinuͤber ging. Doch auf der Mitte der Bruͤcke, von wo man unter den dunklen Bogen des Gebaͤlkes die ſchoͤnſte Ausſicht uͤber den glaͤnzenden See hin genießt, ſelbſt uͤber dem Waſſer ſchwebend, ver¬ gaß er ſeinen Beruf und ließ das arme Schluͤſ¬ ſelbluͤmchen allein den Berg wieder hinaufgehen. Als er ſich endlich erinnerte und zum Brunnen hinanſtieg, drehte es ſich ſchon emſig in dem Wirbel unter dem Waſſerſtrahle herum und konnte nicht hinaus kommen. Er ſteckte es zu dem Fe¬ derchen auf ſeiner Muͤtze und ſchlenderte endlich ſeiner Wohnung zu durch alle die Gaſſen, in welche uͤberall die Alpen blau und ſilbern hinein¬ leuchteten. Jedes Bild, klein oder groß, war mit dieſem bedeutenden Grunde verſehen: vor der niedrigen Wohnung armer Leute ſtand Heinrich ſtill und guckte durch die Fenſterlein, die, einan¬ der entſprechend, an zwei Waͤnden angebracht waren, quer durch das braune Geruͤmpel in die blendende Ferne, welche durch das jenſeitige
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0028"n="14"/>
dem Epheugewebe hinunter, uͤber den Kirchhof,<lb/>
wieder hinunter, durch das Thor uͤber die Bruͤcke,<lb/>
unter welcher die Waſſerleitung auch mit hinuͤber<lb/>
ging. Doch auf der Mitte der Bruͤcke, von wo<lb/>
man unter den dunklen Bogen des Gebaͤlkes die<lb/>ſchoͤnſte Ausſicht uͤber den glaͤnzenden See hin<lb/>
genießt, ſelbſt uͤber dem Waſſer ſchwebend, ver¬<lb/>
gaß er ſeinen Beruf und ließ das arme Schluͤſ¬<lb/>ſelbluͤmchen allein den Berg wieder hinaufgehen.<lb/>
Als er ſich endlich erinnerte und zum Brunnen<lb/>
hinanſtieg, drehte es ſich ſchon emſig in dem<lb/>
Wirbel unter dem Waſſerſtrahle herum und konnte<lb/>
nicht hinaus kommen. Er ſteckte es zu dem Fe¬<lb/>
derchen auf ſeiner Muͤtze und ſchlenderte endlich<lb/>ſeiner Wohnung zu durch alle die Gaſſen, in<lb/>
welche uͤberall die Alpen blau und ſilbern hinein¬<lb/>
leuchteten. Jedes Bild, klein oder groß, war<lb/>
mit dieſem bedeutenden Grunde verſehen: vor der<lb/>
niedrigen Wohnung armer Leute ſtand Heinrich<lb/>ſtill und guckte durch die Fenſterlein, die, einan¬<lb/>
der entſprechend, an zwei Waͤnden angebracht<lb/>
waren, quer durch das braune Geruͤmpel in die<lb/>
blendende Ferne, welche durch das jenſeitige<lb/></p></div></body></text></TEI>
[14/0028]
dem Epheugewebe hinunter, uͤber den Kirchhof,
wieder hinunter, durch das Thor uͤber die Bruͤcke,
unter welcher die Waſſerleitung auch mit hinuͤber
ging. Doch auf der Mitte der Bruͤcke, von wo
man unter den dunklen Bogen des Gebaͤlkes die
ſchoͤnſte Ausſicht uͤber den glaͤnzenden See hin
genießt, ſelbſt uͤber dem Waſſer ſchwebend, ver¬
gaß er ſeinen Beruf und ließ das arme Schluͤſ¬
ſelbluͤmchen allein den Berg wieder hinaufgehen.
Als er ſich endlich erinnerte und zum Brunnen
hinanſtieg, drehte es ſich ſchon emſig in dem
Wirbel unter dem Waſſerſtrahle herum und konnte
nicht hinaus kommen. Er ſteckte es zu dem Fe¬
derchen auf ſeiner Muͤtze und ſchlenderte endlich
ſeiner Wohnung zu durch alle die Gaſſen, in
welche uͤberall die Alpen blau und ſilbern hinein¬
leuchteten. Jedes Bild, klein oder groß, war
mit dieſem bedeutenden Grunde verſehen: vor der
niedrigen Wohnung armer Leute ſtand Heinrich
ſtill und guckte durch die Fenſterlein, die, einan¬
der entſprechend, an zwei Waͤnden angebracht
waren, quer durch das braune Geruͤmpel in die
blendende Ferne, welche durch das jenſeitige
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/28>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.