Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen das Fell schlug, daß es einen dumpf grol¬
lenden Ton gab. Jetzt wurde ich kühner und
schlug stärker, bis es zuletzt wie ein Gewitter
durch den leeren, mitternächtlichen Saal hallte.
Ich ließ den Donner anschwellen und wieder ab¬
nehmen, und wenn er verklang, so dünkten mich
die unheimlichen Pausen noch schöner als das
Geräusch selbst. Endlich erschrak ich über meinem
Thun, warf die Schlägel hin und getraute mir
kaum, über die Bänke des Parterre hinwegzu¬
steigen und mich zu hinterst an der Wand hin¬
zusetzen. Ich war kalt und wünschte zu Hause
zu sein, auch ward es mir bange in meiner
Einsamkeit. Die Fenster in diesem Theile
des Saales waren dicht verschlossen, so daß nur
die Bühne, welche immer noch den Kerker vor¬
stellte, durch das Mondlicht magisch beleuchtet
war. Im Hintergrunde stand das Pförtchen noch
offen, hinter welchem Gretchen gelegen hatte, ein
bleicher Strahl fiel auf das Strohlager, ich dachte
an das schöne Gretchen, welches nun hingerichtet
sein werde, und der stille, mondhelle Kerker kam mir
zauberhafter und heiliger vor, als dem Faust einst

18 *

gegen das Fell ſchlug, daß es einen dumpf grol¬
lenden Ton gab. Jetzt wurde ich kuͤhner und
ſchlug ſtaͤrker, bis es zuletzt wie ein Gewitter
durch den leeren, mitternaͤchtlichen Saal hallte.
Ich ließ den Donner anſchwellen und wieder ab¬
nehmen, und wenn er verklang, ſo duͤnkten mich
die unheimlichen Pauſen noch ſchoͤner als das
Geraͤuſch ſelbſt. Endlich erſchrak ich uͤber meinem
Thun, warf die Schlaͤgel hin und getraute mir
kaum, uͤber die Baͤnke des Parterre hinwegzu¬
ſteigen und mich zu hinterſt an der Wand hin¬
zuſetzen. Ich war kalt und wuͤnſchte zu Hauſe
zu ſein, auch ward es mir bange in meiner
Einſamkeit. Die Fenſter in dieſem Theile
des Saales waren dicht verſchloſſen, ſo daß nur
die Buͤhne, welche immer noch den Kerker vor¬
ſtellte, durch das Mondlicht magiſch beleuchtet
war. Im Hintergrunde ſtand das Pfoͤrtchen noch
offen, hinter welchem Gretchen gelegen hatte, ein
bleicher Strahl fiel auf das Strohlager, ich dachte
an das ſchoͤne Gretchen, welches nun hingerichtet
ſein werde, und der ſtille, mondhelle Kerker kam mir
zauberhafter und heiliger vor, als dem Fauſt einſt

18 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0289" n="275"/>
gegen das Fell &#x017F;chlug, daß es einen dumpf grol¬<lb/>
lenden Ton gab. Jetzt wurde ich ku&#x0364;hner und<lb/>
&#x017F;chlug &#x017F;ta&#x0364;rker, bis es zuletzt wie ein Gewitter<lb/>
durch den leeren, mitterna&#x0364;chtlichen Saal hallte.<lb/>
Ich ließ den Donner an&#x017F;chwellen und wieder ab¬<lb/>
nehmen, und wenn er verklang, &#x017F;o du&#x0364;nkten mich<lb/>
die unheimlichen Pau&#x017F;en noch &#x017F;cho&#x0364;ner als das<lb/>
Gera&#x0364;u&#x017F;ch &#x017F;elb&#x017F;t. Endlich er&#x017F;chrak ich u&#x0364;ber meinem<lb/>
Thun, warf die Schla&#x0364;gel hin und getraute mir<lb/>
kaum, u&#x0364;ber die Ba&#x0364;nke des Parterre hinwegzu¬<lb/>
&#x017F;teigen und mich zu hinter&#x017F;t an der Wand hin¬<lb/>
zu&#x017F;etzen. Ich war kalt und wu&#x0364;n&#x017F;chte zu Hau&#x017F;e<lb/>
zu &#x017F;ein, auch ward es mir bange in meiner<lb/>
Ein&#x017F;amkeit. Die Fen&#x017F;ter in die&#x017F;em Theile<lb/>
des Saales waren dicht ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o daß nur<lb/>
die Bu&#x0364;hne, welche immer noch den Kerker vor¬<lb/>
&#x017F;tellte, durch das Mondlicht magi&#x017F;ch beleuchtet<lb/>
war. Im Hintergrunde &#x017F;tand das Pfo&#x0364;rtchen noch<lb/>
offen, hinter welchem Gretchen gelegen hatte, ein<lb/>
bleicher Strahl fiel auf das Strohlager, ich dachte<lb/>
an das &#x017F;cho&#x0364;ne Gretchen, welches nun hingerichtet<lb/>
&#x017F;ein werde, und der &#x017F;tille, mondhelle Kerker kam mir<lb/>
zauberhafter und heiliger vor, als dem Fau&#x017F;t ein&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">18 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0289] gegen das Fell ſchlug, daß es einen dumpf grol¬ lenden Ton gab. Jetzt wurde ich kuͤhner und ſchlug ſtaͤrker, bis es zuletzt wie ein Gewitter durch den leeren, mitternaͤchtlichen Saal hallte. Ich ließ den Donner anſchwellen und wieder ab¬ nehmen, und wenn er verklang, ſo duͤnkten mich die unheimlichen Pauſen noch ſchoͤner als das Geraͤuſch ſelbſt. Endlich erſchrak ich uͤber meinem Thun, warf die Schlaͤgel hin und getraute mir kaum, uͤber die Baͤnke des Parterre hinwegzu¬ ſteigen und mich zu hinterſt an der Wand hin¬ zuſetzen. Ich war kalt und wuͤnſchte zu Hauſe zu ſein, auch ward es mir bange in meiner Einſamkeit. Die Fenſter in dieſem Theile des Saales waren dicht verſchloſſen, ſo daß nur die Buͤhne, welche immer noch den Kerker vor¬ ſtellte, durch das Mondlicht magiſch beleuchtet war. Im Hintergrunde ſtand das Pfoͤrtchen noch offen, hinter welchem Gretchen gelegen hatte, ein bleicher Strahl fiel auf das Strohlager, ich dachte an das ſchoͤne Gretchen, welches nun hingerichtet ſein werde, und der ſtille, mondhelle Kerker kam mir zauberhafter und heiliger vor, als dem Fauſt einſt 18 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/289
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/289>, abgerufen am 22.11.2024.