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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Als Heinrich Lee mit schnellen Schritten nach
dem Posthause hinlief und einige Minuten darauf
oben auf dem schwerfälligen Wagen sitzend über
die Brücke und neben dem Flusse das enge Thal
entlang fuhr, mit begeisterten Augen das offene
Land erwartend, die Primel noch auf seiner
Mütze: da konnte dieser sonderbare Bursche für
die Hälfte der Zuschauer etwas vortheilhaft An¬
regendes, aber gewiß auch für die andere Hälfte
etwas ungemein Lächerliches haben. Fein gefüh¬
lig und klug sah er darein, jedoch sein Aeußeres
war zugleich seltsam und unbeholfen. Was er
eigentlich war und wollte, das müssen wir mit
ihm selbst zuerst erfahren und erleben; daß man
es in jenem Augenblick nicht recht wissen konnte,
machte seiner Mutter genugsamen Kummer.

Sie war auf ihre Stube zurückgekehrt. Ein
tiefes Gefühl der Verlassenheit und der Einsam¬
keit überkam sie und sie weinte und schluchzte,
die Stirn auf den Tisch gelehnt. Der frühe
Tod ihres Mannes, die Zukunft ihres sorglosen
Kindes, ihre Rathlosigkeit, Alles kam zumal über

Als Heinrich Lee mit ſchnellen Schritten nach
dem Poſthauſe hinlief und einige Minuten darauf
oben auf dem ſchwerfaͤlligen Wagen ſitzend uͤber
die Bruͤcke und neben dem Fluſſe das enge Thal
entlang fuhr, mit begeiſterten Augen das offene
Land erwartend, die Primel noch auf ſeiner
Muͤtze: da konnte dieſer ſonderbare Burſche fuͤr
die Haͤlfte der Zuſchauer etwas vortheilhaft An¬
regendes, aber gewiß auch fuͤr die andere Haͤlfte
etwas ungemein Laͤcherliches haben. Fein gefuͤh¬
lig und klug ſah er darein, jedoch ſein Aeußeres
war zugleich ſeltſam und unbeholfen. Was er
eigentlich war und wollte, das muͤſſen wir mit
ihm ſelbſt zuerſt erfahren und erleben; daß man
es in jenem Augenblick nicht recht wiſſen konnte,
machte ſeiner Mutter genugſamen Kummer.

Sie war auf ihre Stube zuruͤckgekehrt. Ein
tiefes Gefuͤhl der Verlaſſenheit und der Einſam¬
keit uͤberkam ſie und ſie weinte und ſchluchzte,
die Stirn auf den Tiſch gelehnt. Der fruͤhe
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[26/0040] Als Heinrich Lee mit ſchnellen Schritten nach dem Poſthauſe hinlief und einige Minuten darauf oben auf dem ſchwerfaͤlligen Wagen ſitzend uͤber die Bruͤcke und neben dem Fluſſe das enge Thal entlang fuhr, mit begeiſterten Augen das offene Land erwartend, die Primel noch auf ſeiner Muͤtze: da konnte dieſer ſonderbare Burſche fuͤr die Haͤlfte der Zuſchauer etwas vortheilhaft An¬ regendes, aber gewiß auch fuͤr die andere Haͤlfte etwas ungemein Laͤcherliches haben. Fein gefuͤh¬ lig und klug ſah er darein, jedoch ſein Aeußeres war zugleich ſeltſam und unbeholfen. Was er eigentlich war und wollte, das muͤſſen wir mit ihm ſelbſt zuerſt erfahren und erleben; daß man es in jenem Augenblick nicht recht wiſſen konnte, machte ſeiner Mutter genugſamen Kummer. Sie war auf ihre Stube zuruͤckgekehrt. Ein tiefes Gefuͤhl der Verlaſſenheit und der Einſam¬ keit uͤberkam ſie und ſie weinte und ſchluchzte, die Stirn auf den Tiſch gelehnt. Der fruͤhe Tod ihres Mannes, die Zukunft ihres ſorgloſen Kindes, ihre Rathloſigkeit, Alles kam zumal uͤber

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/40>, abgerufen am 21.11.2024.