auf der breiten steinernen Treppe, welche fast tem¬ pelartig den ganzen vorderen Sockel bekleidete, mochte der Ort sein, welchen sonst die alten Dorflinden bezeichnen; denn eine Gruppe älterer und jüngerer Männer unterhielt sich hier behag¬ lich, sie schienen zu politisiren; aber ihre Unter¬ redung war um so ruhiger, bewußter und ern¬ ster, als sie vielleicht, dieselbe bethätigend, noch am gleichen Tage einer wichtigen öffentlichen Pflichterfüllung beizuwohnen hatten. Die Phy¬ siognomien dieser Männer waren durchaus nicht national über Einen Leisten geschlagen, auch war da nichts Pittoreskes, weder in Tracht, noch in Haar- und Bartwuchs zu bemerken; es herrschte jene Verschiedenheit und Individualität, wie sie durch die unbeschränkte persönliche Freiheit erzeugt wird, jene Freiheit, welche bei einer unerschütter¬ lichen Strenge der Gesetze Jedem sein Schicksal läßt und ihn zum Schmied seines eigenen Glü¬ ckes macht. So erschienen hier die Einen von rastloser Arbeit gebräunt und getrocknet, zäh und hart, Andere in Energie und Gewandtheit auf¬ blühend, Andere wieder von Speculation gefurcht
auf der breiten ſteinernen Treppe, welche faſt tem¬ pelartig den ganzen vorderen Sockel bekleidete, mochte der Ort ſein, welchen ſonſt die alten Dorflinden bezeichnen; denn eine Gruppe aͤlterer und juͤngerer Maͤnner unterhielt ſich hier behag¬ lich, ſie ſchienen zu politiſiren; aber ihre Unter¬ redung war um ſo ruhiger, bewußter und ern¬ ſter, als ſie vielleicht, dieſelbe bethaͤtigend, noch am gleichen Tage einer wichtigen oͤffentlichen Pflichterfuͤllung beizuwohnen hatten. Die Phy¬ ſiognomien dieſer Maͤnner waren durchaus nicht national uͤber Einen Leiſten geſchlagen, auch war da nichts Pittoreskes, weder in Tracht, noch in Haar- und Bartwuchs zu bemerken; es herrſchte jene Verſchiedenheit und Individualitaͤt, wie ſie durch die unbeſchraͤnkte perſoͤnliche Freiheit erzeugt wird, jene Freiheit, welche bei einer unerſchuͤtter¬ lichen Strenge der Geſetze Jedem ſein Schickſal laͤßt und ihn zum Schmied ſeines eigenen Gluͤ¬ ckes macht. So erſchienen hier die Einen von raſtloſer Arbeit gebraͤunt und getrocknet, zaͤh und hart, Andere in Energie und Gewandtheit auf¬ bluͤhend, Andere wieder von Speculation gefurcht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0053"n="39"/>
auf der breiten ſteinernen Treppe, welche faſt tem¬<lb/>
pelartig den ganzen vorderen Sockel bekleidete,<lb/>
mochte der Ort ſein, welchen ſonſt die alten<lb/>
Dorflinden bezeichnen; denn eine Gruppe aͤlterer<lb/>
und juͤngerer Maͤnner unterhielt ſich hier behag¬<lb/>
lich, ſie ſchienen zu politiſiren; aber ihre Unter¬<lb/>
redung war um ſo ruhiger, bewußter und ern¬<lb/>ſter, als ſie vielleicht, dieſelbe bethaͤtigend, noch<lb/>
am gleichen Tage einer wichtigen oͤffentlichen<lb/>
Pflichterfuͤllung beizuwohnen hatten. Die Phy¬<lb/>ſiognomien dieſer Maͤnner waren durchaus nicht<lb/>
national uͤber Einen Leiſten geſchlagen, auch war<lb/>
da nichts Pittoreskes, weder in Tracht, noch in<lb/>
Haar- und Bartwuchs zu bemerken; es herrſchte<lb/>
jene Verſchiedenheit und Individualitaͤt, wie ſie<lb/>
durch die unbeſchraͤnkte perſoͤnliche Freiheit erzeugt<lb/>
wird, jene Freiheit, welche bei einer unerſchuͤtter¬<lb/>
lichen Strenge der Geſetze Jedem ſein Schickſal<lb/>
laͤßt und ihn zum Schmied ſeines eigenen Gluͤ¬<lb/>
ckes macht. So erſchienen hier die Einen von<lb/>
raſtloſer Arbeit gebraͤunt und getrocknet, zaͤh und<lb/>
hart, Andere in Energie und Gewandtheit auf¬<lb/>
bluͤhend, Andere wieder von Speculation gefurcht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[39/0053]
auf der breiten ſteinernen Treppe, welche faſt tem¬
pelartig den ganzen vorderen Sockel bekleidete,
mochte der Ort ſein, welchen ſonſt die alten
Dorflinden bezeichnen; denn eine Gruppe aͤlterer
und juͤngerer Maͤnner unterhielt ſich hier behag¬
lich, ſie ſchienen zu politiſiren; aber ihre Unter¬
redung war um ſo ruhiger, bewußter und ern¬
ſter, als ſie vielleicht, dieſelbe bethaͤtigend, noch
am gleichen Tage einer wichtigen oͤffentlichen
Pflichterfuͤllung beizuwohnen hatten. Die Phy¬
ſiognomien dieſer Maͤnner waren durchaus nicht
national uͤber Einen Leiſten geſchlagen, auch war
da nichts Pittoreskes, weder in Tracht, noch in
Haar- und Bartwuchs zu bemerken; es herrſchte
jene Verſchiedenheit und Individualitaͤt, wie ſie
durch die unbeſchraͤnkte perſoͤnliche Freiheit erzeugt
wird, jene Freiheit, welche bei einer unerſchuͤtter¬
lichen Strenge der Geſetze Jedem ſein Schickſal
laͤßt und ihn zum Schmied ſeines eigenen Gluͤ¬
ckes macht. So erſchienen hier die Einen von
raſtloſer Arbeit gebraͤunt und getrocknet, zaͤh und
hart, Andere in Energie und Gewandtheit auf¬
bluͤhend, Andere wieder von Speculation gefurcht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/53>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.