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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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unsterblichen Liedern verherrlicht erst wieder zu¬
rückgewandert; fast an jedem Herde und bei je¬
dem Feste, wo der rüstige Schatten mit Armbrust
und Pfeil herauf beschworen wurde, trug er das
Gewand und sprach die Worte, welche ihm der
deutsche Sänger gegeben hat. Er schwärmte nur
für die deutsche Kunst, von welcher er allerlei
Wundersames erzählen hörte und verachtete alles
Andere. Frankreich liebte er, wie man ein schö¬
nes liebenswürdiges Mädchen mitliebt, dem alle
Welt den Hof macht, und wenn etwas Gutes
in Paris geschah, so freute er sich höchlich, kam
etwas Widerwärtiges vor, so wußte er allerlei
galante Entschuldigungen aufzubringen. Erblickte
hingegen in Deutschland etwas Gutes das Licht,
so machte er nicht viel Wesens daraus, als ob
sich das von selbst verstände, und des Schlechten
schämte er sich und es machte ihn zornig. Alles
aber, was er sich unter Deutschland dachte, war
von einem romantischen Dufte umwoben. In
seiner Vorstellung lebte das poetische und ideale
Deutschland, wie sich letzteres selbst dafür hielt
und träumte. Er hatte nur mit Vorliebe und

unſterblichen Liedern verherrlicht erſt wieder zu¬
ruͤckgewandert; faſt an jedem Herde und bei je¬
dem Feſte, wo der ruͤſtige Schatten mit Armbruſt
und Pfeil herauf beſchworen wurde, trug er das
Gewand und ſprach die Worte, welche ihm der
deutſche Saͤnger gegeben hat. Er ſchwaͤrmte nur
fuͤr die deutſche Kunſt, von welcher er allerlei
Wunderſames erzaͤhlen hoͤrte und verachtete alles
Andere. Frankreich liebte er, wie man ein ſchoͤ¬
nes liebenswuͤrdiges Maͤdchen mitliebt, dem alle
Welt den Hof macht, und wenn etwas Gutes
in Paris geſchah, ſo freute er ſich hoͤchlich, kam
etwas Widerwaͤrtiges vor, ſo wußte er allerlei
galante Entſchuldigungen aufzubringen. Erblickte
hingegen in Deutſchland etwas Gutes das Licht,
ſo machte er nicht viel Weſens daraus, als ob
ſich das von ſelbſt verſtaͤnde, und des Schlechten
ſchaͤmte er ſich und es machte ihn zornig. Alles
aber, was er ſich unter Deutſchland dachte, war
von einem romantiſchen Dufte umwoben. In
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[54/0068] unſterblichen Liedern verherrlicht erſt wieder zu¬ ruͤckgewandert; faſt an jedem Herde und bei je¬ dem Feſte, wo der ruͤſtige Schatten mit Armbruſt und Pfeil herauf beſchworen wurde, trug er das Gewand und ſprach die Worte, welche ihm der deutſche Saͤnger gegeben hat. Er ſchwaͤrmte nur fuͤr die deutſche Kunſt, von welcher er allerlei Wunderſames erzaͤhlen hoͤrte und verachtete alles Andere. Frankreich liebte er, wie man ein ſchoͤ¬ nes liebenswuͤrdiges Maͤdchen mitliebt, dem alle Welt den Hof macht, und wenn etwas Gutes in Paris geſchah, ſo freute er ſich hoͤchlich, kam etwas Widerwaͤrtiges vor, ſo wußte er allerlei galante Entſchuldigungen aufzubringen. Erblickte hingegen in Deutſchland etwas Gutes das Licht, ſo machte er nicht viel Weſens daraus, als ob ſich das von ſelbſt verſtaͤnde, und des Schlechten ſchaͤmte er ſich und es machte ihn zornig. Alles aber, was er ſich unter Deutſchland dachte, war von einem romantiſchen Dufte umwoben. In ſeiner Vorſtellung lebte das poetiſche und ideale Deutſchland, wie ſich letzteres ſelbſt dafuͤr hielt und traͤumte. Er hatte nur mit Vorliebe und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/68>, abgerufen am 21.11.2024.