kannten anfangs schweigend und verstimmt. Hein¬ rich aus guten Gründen; denn die leiseste Be¬ rührung einer fremden männlichen Hand in feind¬ licher Absicht jagt das Blut immer in eine hef¬ tige Wallung und hat schon oft genug Mord und Todtschlag zur Folge gehabt; sein Begleiter hingegen mochte etwas ärgerlich darüber sein, daß er in so kurzer Zeit einen unscheinbaren Frem¬ den wiederholt gegen die Ungezogenheit der eige¬ nen Umgebung hatte schützen müssen, wozu noch die Ungewißheit kam, ob diese in Beziehung auf den inneren Werth des Schützlings wohl auch nothwendig sei? Wie um sich hierin zu versi¬ chern, eröffnete er endlich das Gespräch, indem er Heinrich nach seinem Herkommen befragte. Als dieser erwiederte, daß er Schweizer sei und zum ersten Mal in Deutschland reise, versetzte der Graf: "Und sind Sie überrascht durch die vor¬ rige Tölpelei, oder finden Sie irgend eine vor¬ gefaßte Meinung bestätigt?"
"Ich soll eigentlich nicht überrascht sein, wenn ich bedenke, daß jedes Volk seine eigenen Sitten hat, welche kennen zu lernen der Fremde wohl¬
kannten anfangs ſchweigend und verſtimmt. Hein¬ rich aus guten Gruͤnden; denn die leiſeſte Be¬ ruͤhrung einer fremden maͤnnlichen Hand in feind¬ licher Abſicht jagt das Blut immer in eine hef¬ tige Wallung und hat ſchon oft genug Mord und Todtſchlag zur Folge gehabt; ſein Begleiter hingegen mochte etwas aͤrgerlich daruͤber ſein, daß er in ſo kurzer Zeit einen unſcheinbaren Frem¬ den wiederholt gegen die Ungezogenheit der eige¬ nen Umgebung hatte ſchuͤtzen muͤſſen, wozu noch die Ungewißheit kam, ob dieſe in Beziehung auf den inneren Werth des Schuͤtzlings wohl auch nothwendig ſei? Wie um ſich hierin zu verſi¬ chern, eroͤffnete er endlich das Geſpraͤch, indem er Heinrich nach ſeinem Herkommen befragte. Als dieſer erwiederte, daß er Schweizer ſei und zum erſten Mal in Deutſchland reiſe, verſetzte der Graf: »Und ſind Sie uͤberraſcht durch die vor¬ rige Toͤlpelei, oder finden Sie irgend eine vor¬ gefaßte Meinung beſtaͤtigt?«
»Ich ſoll eigentlich nicht uͤberraſcht ſein, wenn ich bedenke, daß jedes Volk ſeine eigenen Sitten hat, welche kennen zu lernen der Fremde wohl¬
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kannten anfangs ſchweigend und verſtimmt. Hein¬
rich aus guten Gruͤnden; denn die leiſeſte Be¬
ruͤhrung einer fremden maͤnnlichen Hand in feind¬
licher Abſicht jagt das Blut immer in eine hef¬
tige Wallung und hat ſchon oft genug Mord
und Todtſchlag zur Folge gehabt; ſein Begleiter
hingegen mochte etwas aͤrgerlich daruͤber ſein, daß
er in ſo kurzer Zeit einen unſcheinbaren Frem¬
den wiederholt gegen die Ungezogenheit der eige¬
nen Umgebung hatte ſchuͤtzen muͤſſen, wozu noch
die Ungewißheit kam, ob dieſe in Beziehung auf
den inneren Werth des Schuͤtzlings wohl auch
nothwendig ſei? Wie um ſich hierin zu verſi¬
chern, eroͤffnete er endlich das Geſpraͤch, indem er
Heinrich nach ſeinem Herkommen befragte. Als
dieſer erwiederte, daß er Schweizer ſei und zum
erſten Mal in Deutſchland reiſe, verſetzte der
Graf: »Und ſind Sie uͤberraſcht durch die vor¬
rige Toͤlpelei, oder finden Sie irgend eine vor¬
gefaßte Meinung beſtaͤtigt?«
»Ich ſoll eigentlich nicht uͤberraſcht ſein, wenn
ich bedenke, daß jedes Volk ſeine eigenen Sitten
hat, welche kennen zu lernen der Fremde wohl¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/83>, abgerufen am 21.11.2024.
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