bezweckt hatte, wurde sie mir doch zu arg: ich riß mich los und faßte meine Feindin, nach Rache dürstend, nun meinerseits beim Kopfe. Doch leistete sie, indem sie immer sitzen blieb, so kräf¬ tigen Widerstand, daß wir Beide zuletzt heftig athmend und erhitzt den Kampf aufgaben und ich, beide Arme um ihren weißen Hals geschlun¬ gen, ausruhend an ihr hangen blieb; ihre Brust wogte auf und nieder, indessen sie, die Hände erschöpft auf ihre Kniee gelegt, vor sich hin sah. Meine Augen gingen den ihrigen nach in den rothen Abend hinaus, dessen Stille uns um¬ fächelte; Judith saß in tiefen Gedanken versun¬ ken und verschloß, die Wallung ihres aufgejagten Blutes bändigend, in ihrer Brust innere Wünsche und Regungen fest vor meiner Jugend, während ich, unbewußt des brennenden Abgrundes, an dem ich ruhte, mich arglos der stillen Seligkeit hingab und in der durchsichtigen Rosengluth des Himmels das feine, schlanke Bild Anna's auf¬ tauchen sah. Denn nur an sie dachte ich in die¬ sem Augenblicke, ich ahnte das Leben und Weben der Liebe und es war mir, als müßte ich nun
bezweckt hatte, wurde ſie mir doch zu arg: ich riß mich los und faßte meine Feindin, nach Rache duͤrſtend, nun meinerſeits beim Kopfe. Doch leiſtete ſie, indem ſie immer ſitzen blieb, ſo kraͤf¬ tigen Widerſtand, daß wir Beide zuletzt heftig athmend und erhitzt den Kampf aufgaben und ich, beide Arme um ihren weißen Hals geſchlun¬ gen, ausruhend an ihr hangen blieb; ihre Bruſt wogte auf und nieder, indeſſen ſie, die Haͤnde erſchoͤpft auf ihre Kniee gelegt, vor ſich hin ſah. Meine Augen gingen den ihrigen nach in den rothen Abend hinaus, deſſen Stille uns um¬ faͤchelte; Judith ſaß in tiefen Gedanken verſun¬ ken und verſchloß, die Wallung ihres aufgejagten Blutes baͤndigend, in ihrer Bruſt innere Wuͤnſche und Regungen feſt vor meiner Jugend, waͤhrend ich, unbewußt des brennenden Abgrundes, an dem ich ruhte, mich arglos der ſtillen Seligkeit hingab und in der durchſichtigen Roſengluth des Himmels das feine, ſchlanke Bild Anna's auf¬ tauchen ſah. Denn nur an ſie dachte ich in die¬ ſem Augenblicke, ich ahnte das Leben und Weben der Liebe und es war mir, als muͤßte ich nun
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bezweckt hatte, wurde ſie mir doch zu arg: ich
riß mich los und faßte meine Feindin, nach Rache
duͤrſtend, nun meinerſeits beim Kopfe. Doch
leiſtete ſie, indem ſie immer ſitzen blieb, ſo kraͤf¬
tigen Widerſtand, daß wir Beide zuletzt heftig
athmend und erhitzt den Kampf aufgaben und
ich, beide Arme um ihren weißen Hals geſchlun¬
gen, ausruhend an ihr hangen blieb; ihre Bruſt
wogte auf und nieder, indeſſen ſie, die Haͤnde
erſchoͤpft auf ihre Kniee gelegt, vor ſich hin ſah.
Meine Augen gingen den ihrigen nach in den
rothen Abend hinaus, deſſen Stille uns um¬
faͤchelte; Judith ſaß in tiefen Gedanken verſun¬
ken und verſchloß, die Wallung ihres aufgejagten
Blutes baͤndigend, in ihrer Bruſt innere Wuͤnſche
und Regungen feſt vor meiner Jugend, waͤhrend
ich, unbewußt des brennenden Abgrundes, an
dem ich ruhte, mich arglos der ſtillen Seligkeit
hingab und in der durchſichtigen Roſengluth des
Himmels das feine, ſchlanke Bild Anna's auf¬
tauchen ſah. Denn nur an ſie dachte ich in die¬
ſem Augenblicke, ich ahnte das Leben und Weben
der Liebe und es war mir, als muͤßte ich nun
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/108>, abgerufen am 27.11.2024.
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