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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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halt in der dumpfen Krankenstube mir ungewohnt
und trübselig waren. Als sie aber in das eigent¬
liche Sterben kam, welches mehrere Tage dauerte,
wurde mir diese Pflicht zu einer ernsten und
strengen Uebung. Ich hatte noch nie Jemanden
sterben sehen und sah nun die bewußtlose, oder
wenigstens so scheinende Greisin mehrere Tage
röchelnd im Todeskampfe liegen, denn ihr Lebens¬
funke mochte fast nicht erlöschen. Die Sitte ver¬
langte, daß immer mindestens drei Personen in
dem Gemache sich aufhielten, um abwechselnd zu
beten und den fremden Besuchern, welche unab¬
lässig eintraten, die Ehren zu erweisen und Nach¬
richt zu geben. Nun hatten aber die Leute, bei
dem goldenen Wetter, gerade viel zu arbeiten,
und ich, der ich nichts zu thun hatte und geläu¬
fig las, war ihnen daher willkommen und wurde
den größten Theil des Tages am Todesbette
festgehalten. Die Weiber hatten zudem insbeson¬
dere ein großes Bedürfniß, die Traurigkeit und
den Schrecken des Todes recht auszubeuten, und
da die Männer sich niemals lange in der Kam¬
mer aufhielten, waren sie froh, mich für Alle

halt in der dumpfen Krankenſtube mir ungewohnt
und truͤbſelig waren. Als ſie aber in das eigent¬
liche Sterben kam, welches mehrere Tage dauerte,
wurde mir dieſe Pflicht zu einer ernſten und
ſtrengen Uebung. Ich hatte noch nie Jemanden
ſterben ſehen und ſah nun die bewußtloſe, oder
wenigſtens ſo ſcheinende Greiſin mehrere Tage
roͤchelnd im Todeskampfe liegen, denn ihr Lebens¬
funke mochte faſt nicht erloͤſchen. Die Sitte ver¬
langte, daß immer mindeſtens drei Perſonen in
dem Gemache ſich aufhielten, um abwechſelnd zu
beten und den fremden Beſuchern, welche unab¬
laͤſſig eintraten, die Ehren zu erweiſen und Nach¬
richt zu geben. Nun hatten aber die Leute, bei
dem goldenen Wetter, gerade viel zu arbeiten,
und ich, der ich nichts zu thun hatte und gelaͤu¬
fig las, war ihnen daher willkommen und wurde
den groͤßten Theil des Tages am Todesbette
feſtgehalten. Die Weiber hatten zudem insbeſon¬
dere ein großes Beduͤrfniß, die Traurigkeit und
den Schrecken des Todes recht auszubeuten, und
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[127/0137] halt in der dumpfen Krankenſtube mir ungewohnt und truͤbſelig waren. Als ſie aber in das eigent¬ liche Sterben kam, welches mehrere Tage dauerte, wurde mir dieſe Pflicht zu einer ernſten und ſtrengen Uebung. Ich hatte noch nie Jemanden ſterben ſehen und ſah nun die bewußtloſe, oder wenigſtens ſo ſcheinende Greiſin mehrere Tage roͤchelnd im Todeskampfe liegen, denn ihr Lebens¬ funke mochte faſt nicht erloͤſchen. Die Sitte ver¬ langte, daß immer mindeſtens drei Perſonen in dem Gemache ſich aufhielten, um abwechſelnd zu beten und den fremden Beſuchern, welche unab¬ laͤſſig eintraten, die Ehren zu erweiſen und Nach¬ richt zu geben. Nun hatten aber die Leute, bei dem goldenen Wetter, gerade viel zu arbeiten, und ich, der ich nichts zu thun hatte und gelaͤu¬ fig las, war ihnen daher willkommen und wurde den groͤßten Theil des Tages am Todesbette feſtgehalten. Die Weiber hatten zudem insbeſon¬ dere ein großes Beduͤrfniß, die Traurigkeit und den Schrecken des Todes recht auszubeuten, und da die Maͤnner ſich niemals lange in der Kam¬ mer aufhielten, waren ſie froh, mich fuͤr Alle

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/137>, abgerufen am 27.11.2024.