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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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worin sie aussah wie eine Art Stiftsfräulein.
Den Strohhut hingegen ließ sie zu Hause und
trug ihre Haare besonders kunstreich geflochten,
dazu durchdrang sie heute eine tiefe Frömmig¬
keit und Andacht, sie war still und ihre Bewe¬
gungen voll Sitte, und dieses Alles ließ sie in
meinen Augen in neuem unendlichem Reize er¬
scheinen. In meine traurig festliche Stimmung
mischte sich ein süßer Stolz, mit diesem liebens¬
würdigen und seltenen Wesen so vertraut zu sein,
und zu diesem Stolze gesellte sich eine innige
Verehrung, daß ich meine Bewegungen ebenfalls
maß und zurückhielt und mit eigentlicher Ehr¬
erbietung neben ihr her ging und ihr dienstbar
war, wo es der unebene Weg erforderte.

Wir machten vorerst im Hause meines Oheims
Halt, dessen Familie schon gerüstet war und sich,
als die Todtenglocke läutete, uns anschloß. Im
Sterbehause wurde ich von meinen sämmtlichen
Begleitern getrennt, da meine Stellung als Enkel
die Gegenwart unter den nächsten Leidtragenden
mit sich brachte, und als der jüngste und unmit¬
telbarste Nachkomme befand ich mich in meinem

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worin ſie ausſah wie eine Art Stiftsfraͤulein.
Den Strohhut hingegen ließ ſie zu Hauſe und
trug ihre Haare beſonders kunſtreich geflochten,
dazu durchdrang ſie heute eine tiefe Froͤmmig¬
keit und Andacht, ſie war ſtill und ihre Bewe¬
gungen voll Sitte, und dieſes Alles ließ ſie in
meinen Augen in neuem unendlichem Reize er¬
ſcheinen. In meine traurig feſtliche Stimmung
miſchte ſich ein ſuͤßer Stolz, mit dieſem liebens¬
wuͤrdigen und ſeltenen Weſen ſo vertraut zu ſein,
und zu dieſem Stolze geſellte ſich eine innige
Verehrung, daß ich meine Bewegungen ebenfalls
maß und zuruͤckhielt und mit eigentlicher Ehr¬
erbietung neben ihr her ging und ihr dienſtbar
war, wo es der unebene Weg erforderte.

Wir machten vorerſt im Hauſe meines Oheims
Halt, deſſen Familie ſchon geruͤſtet war und ſich,
als die Todtenglocke laͤutete, uns anſchloß. Im
Sterbehauſe wurde ich von meinen ſaͤmmtlichen
Begleitern getrennt, da meine Stellung als Enkel
die Gegenwart unter den naͤchſten Leidtragenden
mit ſich brachte, und als der juͤngſte und unmit¬
telbarſte Nachkomme befand ich mich in meinem

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[131/0141] worin ſie ausſah wie eine Art Stiftsfraͤulein. Den Strohhut hingegen ließ ſie zu Hauſe und trug ihre Haare beſonders kunſtreich geflochten, dazu durchdrang ſie heute eine tiefe Froͤmmig¬ keit und Andacht, ſie war ſtill und ihre Bewe¬ gungen voll Sitte, und dieſes Alles ließ ſie in meinen Augen in neuem unendlichem Reize er¬ ſcheinen. In meine traurig feſtliche Stimmung miſchte ſich ein ſuͤßer Stolz, mit dieſem liebens¬ wuͤrdigen und ſeltenen Weſen ſo vertraut zu ſein, und zu dieſem Stolze geſellte ſich eine innige Verehrung, daß ich meine Bewegungen ebenfalls maß und zuruͤckhielt und mit eigentlicher Ehr¬ erbietung neben ihr her ging und ihr dienſtbar war, wo es der unebene Weg erforderte. Wir machten vorerſt im Hauſe meines Oheims Halt, deſſen Familie ſchon geruͤſtet war und ſich, als die Todtenglocke laͤutete, uns anſchloß. Im Sterbehauſe wurde ich von meinen ſaͤmmtlichen Begleitern getrennt, da meine Stellung als Enkel die Gegenwart unter den naͤchſten Leidtragenden mit ſich brachte, und als der juͤngſte und unmit¬ telbarſte Nachkomme befand ich mich in meinem 9 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/141>, abgerufen am 27.11.2024.