erschien auch und machte seine Würde geltend, und ohne viel zu wissen, wie es zugegangen, sah ich mich endlich an der Spitze des langen Zuges auf dem Kirchhofe und dann in die kühle Kirche versetzt, welche von der Gemeinde ganz angefüllt wurde. Ich hörte nun mit Verwunde¬ rung und Aufmerksamkeit den ursprünglichen Familiennamen, die Abstammung, das Alter, den Lebenslauf und das Lob der Großmutter von der Kanzel verkünden, und stimmte von Herzen in das Versöhnungs- und Ruhelied, welches zum Schlusse gesungen wurde. Als ich aber die Schau¬ feln klingen hörte vor der Kirchenthür, drängte ich mich hinaus, um in das Grab zu schauen. Der einfache Sarg lag schon darin, viele Men¬ schen standen umher und weinten, die Schollen fielen hart auf den Deckel und verbargen ihn allmälig, ich sah erstaunt hinein und kam mir fremd und verwundert vor, und die Todte in der Erde erschien mir auch fremd und ich fand keine Thränen. Erst als es mir durch den Sinn fuhr, daß es die leibliche Mutter meines Vaters gewesen und an meine Mutter dachte, welche
erſchien auch und machte ſeine Wuͤrde geltend, und ohne viel zu wiſſen, wie es zugegangen, ſah ich mich endlich an der Spitze des langen Zuges auf dem Kirchhofe und dann in die kuͤhle Kirche verſetzt, welche von der Gemeinde ganz angefuͤllt wurde. Ich hoͤrte nun mit Verwunde¬ rung und Aufmerkſamkeit den urſpruͤnglichen Familiennamen, die Abſtammung, das Alter, den Lebenslauf und das Lob der Großmutter von der Kanzel verkuͤnden, und ſtimmte von Herzen in das Verſoͤhnungs- und Ruhelied, welches zum Schluſſe geſungen wurde. Als ich aber die Schau¬ feln klingen hoͤrte vor der Kirchenthuͤr, draͤngte ich mich hinaus, um in das Grab zu ſchauen. Der einfache Sarg lag ſchon darin, viele Men¬ ſchen ſtanden umher und weinten, die Schollen fielen hart auf den Deckel und verbargen ihn allmaͤlig, ich ſah erſtaunt hinein und kam mir fremd und verwundert vor, und die Todte in der Erde erſchien mir auch fremd und ich fand keine Thraͤnen. Erſt als es mir durch den Sinn fuhr, daß es die leibliche Mutter meines Vaters geweſen und an meine Mutter dachte, welche
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erſchien auch und machte ſeine Wuͤrde geltend,
und ohne viel zu wiſſen, wie es zugegangen,
ſah ich mich endlich an der Spitze des langen
Zuges auf dem Kirchhofe und dann in die kuͤhle
Kirche verſetzt, welche von der Gemeinde ganz
angefuͤllt wurde. Ich hoͤrte nun mit Verwunde¬
rung und Aufmerkſamkeit den urſpruͤnglichen
Familiennamen, die Abſtammung, das Alter, den
Lebenslauf und das Lob der Großmutter von der
Kanzel verkuͤnden, und ſtimmte von Herzen in
das Verſoͤhnungs- und Ruhelied, welches zum
Schluſſe geſungen wurde. Als ich aber die Schau¬
feln klingen hoͤrte vor der Kirchenthuͤr, draͤngte
ich mich hinaus, um in das Grab zu ſchauen.
Der einfache Sarg lag ſchon darin, viele Men¬
ſchen ſtanden umher und weinten, die Schollen
fielen hart auf den Deckel und verbargen ihn
allmaͤlig, ich ſah erſtaunt hinein und kam mir
fremd und verwundert vor, und die Todte in
der Erde erſchien mir auch fremd und ich fand
keine Thraͤnen. Erſt als es mir durch den Sinn
fuhr, daß es die leibliche Mutter meines Vaters
geweſen und an meine Mutter dachte, welche
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/145>, abgerufen am 27.11.2024.
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