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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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denn ungepaart durfte Niemand hinaufgehen. Ich
nahm daher Anna bei der Hand und stellte mich
in die Reihe, welche sich, von den Musikanten
angeführt, in Bewegung setzte. Man spielte
einen elendiglichen Trauermarsch, zog nach seinem
Takte dreimal auf dem Boden herum, der zum
Tanzsaal umgewandelt war, und stellte sich dann
in einen großen Kreis. Hierauf traten sieben
Paare in die Mitte und führten einen schwer¬
fälligen alten Tanz auf von sieben Figuren mit
schwierigen Sprüngen, Kniefällen und Verschlin¬
gungen, wozu schallend in die Hände geklatscht
wurde. Nachdem dies Schauspiel seine gehörige
Zeit gedauert hatte, erschien der Wirth, ging ein¬
mal durch die Reihen, dankte den Gästen für
ihre Theilnahme an seinem Leid und flüsterte
hier und dort einem jungen Burschen, daß es
Alle sahen, in die Ohren, er möchte sich die
Trauer nicht allzusehr zu Herzen gehen und ihn
in seinem Schmerze jetzt nur allein und einsam
lassen, er empföhle ihm vielmehr, sich nun wieder
des Lebens zu freuen. Hierauf schritt er wieder
gesenkten Hauptes von dannen und stieg die

denn ungepaart durfte Niemand hinaufgehen. Ich
nahm daher Anna bei der Hand und ſtellte mich
in die Reihe, welche ſich, von den Muſikanten
angefuͤhrt, in Bewegung ſetzte. Man ſpielte
einen elendiglichen Trauermarſch, zog nach ſeinem
Takte dreimal auf dem Boden herum, der zum
Tanzſaal umgewandelt war, und ſtellte ſich dann
in einen großen Kreis. Hierauf traten ſieben
Paare in die Mitte und fuͤhrten einen ſchwer¬
faͤlligen alten Tanz auf von ſieben Figuren mit
ſchwierigen Spruͤngen, Kniefaͤllen und Verſchlin¬
gungen, wozu ſchallend in die Haͤnde geklatſcht
wurde. Nachdem dies Schauſpiel ſeine gehoͤrige
Zeit gedauert hatte, erſchien der Wirth, ging ein¬
mal durch die Reihen, dankte den Gaͤſten fuͤr
ihre Theilnahme an ſeinem Leid und fluͤſterte
hier und dort einem jungen Burſchen, daß es
Alle ſahen, in die Ohren, er moͤchte ſich die
Trauer nicht allzuſehr zu Herzen gehen und ihn
in ſeinem Schmerze jetzt nur allein und einſam
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des Lebens zu freuen. Hierauf ſchritt er wieder
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[140/0150] denn ungepaart durfte Niemand hinaufgehen. Ich nahm daher Anna bei der Hand und ſtellte mich in die Reihe, welche ſich, von den Muſikanten angefuͤhrt, in Bewegung ſetzte. Man ſpielte einen elendiglichen Trauermarſch, zog nach ſeinem Takte dreimal auf dem Boden herum, der zum Tanzſaal umgewandelt war, und ſtellte ſich dann in einen großen Kreis. Hierauf traten ſieben Paare in die Mitte und fuͤhrten einen ſchwer¬ faͤlligen alten Tanz auf von ſieben Figuren mit ſchwierigen Spruͤngen, Kniefaͤllen und Verſchlin¬ gungen, wozu ſchallend in die Haͤnde geklatſcht wurde. Nachdem dies Schauſpiel ſeine gehoͤrige Zeit gedauert hatte, erſchien der Wirth, ging ein¬ mal durch die Reihen, dankte den Gaͤſten fuͤr ihre Theilnahme an ſeinem Leid und fluͤſterte hier und dort einem jungen Burſchen, daß es Alle ſahen, in die Ohren, er moͤchte ſich die Trauer nicht allzuſehr zu Herzen gehen und ihn in ſeinem Schmerze jetzt nur allein und einſam laſſen, er empfoͤhle ihm vielmehr, ſich nun wieder des Lebens zu freuen. Hierauf ſchritt er wieder geſenkten Hauptes von dannen und ſtieg die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/150>, abgerufen am 23.11.2024.