erleuchtete, wenn die rothe Sonne niederging, und in der erhellten Brust wurde mir dann im¬ mer auch unser gute Freund, der liebe Gott, sichtbar, der um diese Zeit mit erhöhter Klarheit begann, seine hochherrlichen und ewigen Rechte auch an mir geltend zu machen.
Ich hatte, nach Büchern herumspürend, in der Leihbibliothek unserer Stadt einen Roman des Jean Paul in die Hände bekommen. In demselben schien mir plötzlich Alles tröstend und erfüllend entgegenzutreten, was ich bisher gewollt und gesucht, oder unruhig und dunkel empfun¬ den: gefühlerfülltes und scharf beobachtetes Klein¬ leben und feine Spiegelung des nächsten Men¬ schenthums mit dem weiten Himmel des geahn¬ ten Unendlichen und Ewigen darüber; heitere, muthwillige Schrankenlosigkeit und Beweglichkeit des Geistes, die sich jeden Augenblick in tiefes Sinnen und Träumen der Seele verwandelte; lächelndes Vertrautsein mit Noth und Wehmuth, daneben das Ergreifen poetischer Seligkeit, welche mit goldener Fluth alle kleine Qual und Grübe¬ lei hinwegspülte und mich in glückliche Vergessen¬
erleuchtete, wenn die rothe Sonne niederging, und in der erhellten Bruſt wurde mir dann im¬ mer auch unſer gute Freund, der liebe Gott, ſichtbar, der um dieſe Zeit mit erhoͤhter Klarheit begann, ſeine hochherrlichen und ewigen Rechte auch an mir geltend zu machen.
Ich hatte, nach Buͤchern herumſpuͤrend, in der Leihbibliothek unſerer Stadt einen Roman des Jean Paul in die Haͤnde bekommen. In demſelben ſchien mir ploͤtzlich Alles troͤſtend und erfuͤllend entgegenzutreten, was ich bisher gewollt und geſucht, oder unruhig und dunkel empfun¬ den: gefuͤhlerfuͤlltes und ſcharf beobachtetes Klein¬ leben und feine Spiegelung des naͤchſten Men¬ ſchenthums mit dem weiten Himmel des geahn¬ ten Unendlichen und Ewigen daruͤber; heitere, muthwillige Schrankenloſigkeit und Beweglichkeit des Geiſtes, die ſich jeden Augenblick in tiefes Sinnen und Traͤumen der Seele verwandelte; laͤchelndes Vertrautſein mit Noth und Wehmuth, daneben das Ergreifen poetiſcher Seligkeit, welche mit goldener Fluth alle kleine Qual und Gruͤbe¬ lei hinwegſpuͤlte und mich in gluͤckliche Vergeſſen¬
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erleuchtete, wenn die rothe Sonne niederging,
und in der erhellten Bruſt wurde mir dann im¬
mer auch unſer gute Freund, der liebe Gott,
ſichtbar, der um dieſe Zeit mit erhoͤhter Klarheit
begann, ſeine hochherrlichen und ewigen Rechte
auch an mir geltend zu machen.
Ich hatte, nach Buͤchern herumſpuͤrend, in
der Leihbibliothek unſerer Stadt einen Roman
des Jean Paul in die Haͤnde bekommen. In
demſelben ſchien mir ploͤtzlich Alles troͤſtend und
erfuͤllend entgegenzutreten, was ich bisher gewollt
und geſucht, oder unruhig und dunkel empfun¬
den: gefuͤhlerfuͤlltes und ſcharf beobachtetes Klein¬
leben und feine Spiegelung des naͤchſten Men¬
ſchenthums mit dem weiten Himmel des geahn¬
ten Unendlichen und Ewigen daruͤber; heitere,
muthwillige Schrankenloſigkeit und Beweglichkeit
des Geiſtes, die ſich jeden Augenblick in tiefes
Sinnen und Traͤumen der Seele verwandelte;
laͤchelndes Vertrautſein mit Noth und Wehmuth,
daneben das Ergreifen poetiſcher Seligkeit, welche
mit goldener Fluth alle kleine Qual und Gruͤbe¬
lei hinwegſpuͤlte und mich in gluͤckliche Vergeſſen¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/184>, abgerufen am 25.11.2024.
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