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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Früher hatte ich dergleichen Etwas geträumt,
die Ohren hatten mir geläutet, nun ging mir der
Morgen auf in den langen Winternächten, welche
hindurch ich an drei mal zwölf Bände des un¬
sterblichen Propheten las. Und als der Frühling
kam und die Nächte kürzer wurden, las ich von
Neuem in den köstlichen Morgen hinein und ge¬
wöhnte mir darüber an, lange im Bette zu lie¬
gen und am hellen Tage, die Wange auf dem
geliebten Buche, den Schlaf des Gerechten zu
schlafen. Dazumal schloß ich einen neuen Bund
mit Gott und seinem Jean Paul, welcher Vater¬
stelle an mir vertrat, und mag diesen die wan¬
delbare Welt in ihrer Vergänglichkeit zu dem
alten Eisen werfen, mag ich selbst dereinst noch
meinen und glauben, was es immer sei: ihn
werde ich nie verleugnen, so lange mein Herz
nicht vertrocknet! Denn dieses ist der Unterschied
zwischen ihm und den andern Helden und Köni¬
gen des Geistes! Bei diesen ist man vornehm zu
Gaste und geht umher in reichem Saale, wohl
bewirthet, doch immer als Gast, bei ihm aber
liegt man an einem Bruderherzen! Was kümmert

Fruͤher hatte ich dergleichen Etwas getraͤumt,
die Ohren hatten mir gelaͤutet, nun ging mir der
Morgen auf in den langen Winternaͤchten, welche
hindurch ich an drei mal zwoͤlf Baͤnde des un¬
ſterblichen Propheten las. Und als der Fruͤhling
kam und die Naͤchte kuͤrzer wurden, las ich von
Neuem in den koͤſtlichen Morgen hinein und ge¬
woͤhnte mir daruͤber an, lange im Bette zu lie¬
gen und am hellen Tage, die Wange auf dem
geliebten Buche, den Schlaf des Gerechten zu
ſchlafen. Dazumal ſchloß ich einen neuen Bund
mit Gott und ſeinem Jean Paul, welcher Vater¬
ſtelle an mir vertrat, und mag dieſen die wan¬
delbare Welt in ihrer Vergaͤnglichkeit zu dem
alten Eiſen werfen, mag ich ſelbſt dereinſt noch
meinen und glauben, was es immer ſei: ihn
werde ich nie verleugnen, ſo lange mein Herz
nicht vertrocknet! Denn dieſes iſt der Unterſchied
zwiſchen ihm und den andern Helden und Koͤni¬
gen des Geiſtes! Bei dieſen iſt man vornehm zu
Gaſte und geht umher in reichem Saale, wohl
bewirthet, doch immer als Gaſt, bei ihm aber
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[176/0186] Fruͤher hatte ich dergleichen Etwas getraͤumt, die Ohren hatten mir gelaͤutet, nun ging mir der Morgen auf in den langen Winternaͤchten, welche hindurch ich an drei mal zwoͤlf Baͤnde des un¬ ſterblichen Propheten las. Und als der Fruͤhling kam und die Naͤchte kuͤrzer wurden, las ich von Neuem in den koͤſtlichen Morgen hinein und ge¬ woͤhnte mir daruͤber an, lange im Bette zu lie¬ gen und am hellen Tage, die Wange auf dem geliebten Buche, den Schlaf des Gerechten zu ſchlafen. Dazumal ſchloß ich einen neuen Bund mit Gott und ſeinem Jean Paul, welcher Vater¬ ſtelle an mir vertrat, und mag dieſen die wan¬ delbare Welt in ihrer Vergaͤnglichkeit zu dem alten Eiſen werfen, mag ich ſelbſt dereinſt noch meinen und glauben, was es immer ſei: ihn werde ich nie verleugnen, ſo lange mein Herz nicht vertrocknet! Denn dieſes iſt der Unterſchied zwiſchen ihm und den andern Helden und Koͤni¬ gen des Geiſtes! Bei dieſen iſt man vornehm zu Gaſte und geht umher in reichem Saale, wohl bewirthet, doch immer als Gaſt, bei ihm aber liegt man an einem Bruderherzen! Was kuͤmmert

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/186>, abgerufen am 25.11.2024.