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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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viel wunderlichere Menschen, zerlumpte Kerle,
welche ich gesehen zu haben vorgab, und welche
das ganze Haus des Lehrers oft unmäßig zum
Lachen brachten. Es war ein nichtsnutziges und
verrücktes Geschlecht, welches in Verbindung mit
der seltsamen Gegend eine Welt bildete, die nur
in meinem Gehirne vorhanden war und endlich
doch meinem Vorgesetzten verdächtig und ärgerlich
wurde. Doch bemerkte er nicht viel hierüber,
sondern ließ mich meine Wege gehen, da ihm
einerseits das frische junge Gemüth mangelte,
um dem Gedankengange und den Ränken meines
Treibens nachzuspüren und mich darüber zu er¬
tappen und anderseits die völlige Ueberlegenheit
des eigenen Wissens. Diese beiden Vermögen
bilden ja das Geheimniß aller Erziehung: unver¬
wischte lebendige Jugendlichkeit und Kindlichkeit,
welche allein die Jugend kennt und durchdringt,
und die sichere Ueberlegenheit der Person in allen
Fällen. Eines kann oft das Andere zur Noth¬
durft ersetzen, wo aber beide fehlen, da ist die
Jugend eine verschlossene Muschel in der Hand
des Lehrers, die er nur durch Zertrümmerung

viel wunderlichere Menſchen, zerlumpte Kerle,
welche ich geſehen zu haben vorgab, und welche
das ganze Haus des Lehrers oft unmaͤßig zum
Lachen brachten. Es war ein nichtsnutziges und
verruͤcktes Geſchlecht, welches in Verbindung mit
der ſeltſamen Gegend eine Welt bildete, die nur
in meinem Gehirne vorhanden war und endlich
doch meinem Vorgeſetzten verdaͤchtig und aͤrgerlich
wurde. Doch bemerkte er nicht viel hieruͤber,
ſondern ließ mich meine Wege gehen, da ihm
einerſeits das friſche junge Gemuͤth mangelte,
um dem Gedankengange und den Raͤnken meines
Treibens nachzuſpuͤren und mich daruͤber zu er¬
tappen und anderſeits die voͤllige Ueberlegenheit
des eigenen Wiſſens. Dieſe beiden Vermoͤgen
bilden ja das Geheimniß aller Erziehung: unver¬
wiſchte lebendige Jugendlichkeit und Kindlichkeit,
welche allein die Jugend kennt und durchdringt,
und die ſichere Ueberlegenheit der Perſon in allen
Faͤllen. Eines kann oft das Andere zur Noth¬
durft erſetzen, wo aber beide fehlen, da iſt die
Jugend eine verſchloſſene Muſchel in der Hand
des Lehrers, die er nur durch Zertruͤmmerung

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[185/0195] viel wunderlichere Menſchen, zerlumpte Kerle, welche ich geſehen zu haben vorgab, und welche das ganze Haus des Lehrers oft unmaͤßig zum Lachen brachten. Es war ein nichtsnutziges und verruͤcktes Geſchlecht, welches in Verbindung mit der ſeltſamen Gegend eine Welt bildete, die nur in meinem Gehirne vorhanden war und endlich doch meinem Vorgeſetzten verdaͤchtig und aͤrgerlich wurde. Doch bemerkte er nicht viel hieruͤber, ſondern ließ mich meine Wege gehen, da ihm einerſeits das friſche junge Gemuͤth mangelte, um dem Gedankengange und den Raͤnken meines Treibens nachzuſpuͤren und mich daruͤber zu er¬ tappen und anderſeits die voͤllige Ueberlegenheit des eigenen Wiſſens. Dieſe beiden Vermoͤgen bilden ja das Geheimniß aller Erziehung: unver¬ wiſchte lebendige Jugendlichkeit und Kindlichkeit, welche allein die Jugend kennt und durchdringt, und die ſichere Ueberlegenheit der Perſon in allen Faͤllen. Eines kann oft das Andere zur Noth¬ durft erſetzen, wo aber beide fehlen, da iſt die Jugend eine verſchloſſene Muſchel in der Hand des Lehrers, die er nur durch Zertruͤmmerung

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/195>, abgerufen am 24.11.2024.