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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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ich eine ziemliche Uebung und begann den leben¬
digen Himmel zu verstehen; ich ging leidenschaft¬
lich den tausend Reizen der Wolken nach, beson¬
ders wandelten meine Blicke friedevoll durch die
tiefen plastischen Thäler, über die weißen Höhen
und um die sonnigen Vorsprünge und Abhänge
dieser luftigen Gebirge herum, sie schlichen ver¬
wegen unter der schattigen blauen Basis hindurch,
die ungeheure Ausdehnung in der scheinbaren
Verkürzung ermessend. Als ich später hörte, daß
diese Uebung allerdings ein sehr eifrig gepflegter
Weg landschaftlicher Kunst sei, war ich nicht
wenig stolz darauf, in meiner Abgeschiedenheit
von selbst darauf verfallen zu sein, wie ich über¬
haupt erfuhr, daß das Bedürfniß solche Hülfen
immer selbst erfindet und die allgemeine Wahrheit
sich in jedem abgeschiedenen aber lebendigen Be¬
streben Bahn bricht.

Erst jetzt, als die erste Begierde nach Staf¬
felei und umfangreichen Flächen gestillt war, ge¬
wann es neuen Reiz für mich, daneben kleine
saubere und zierliche Arbeiten auszuführen und
ich hatte immer einen idyllischen Gedanken in

ich eine ziemliche Uebung und begann den leben¬
digen Himmel zu verſtehen; ich ging leidenſchaft¬
lich den tauſend Reizen der Wolken nach, beſon¬
ders wandelten meine Blicke friedevoll durch die
tiefen plaſtiſchen Thaͤler, uͤber die weißen Hoͤhen
und um die ſonnigen Vorſpruͤnge und Abhaͤnge
dieſer luftigen Gebirge herum, ſie ſchlichen ver¬
wegen unter der ſchattigen blauen Baſis hindurch,
die ungeheure Ausdehnung in der ſcheinbaren
Verkuͤrzung ermeſſend. Als ich ſpaͤter hoͤrte, daß
dieſe Uebung allerdings ein ſehr eifrig gepflegter
Weg landſchaftlicher Kunſt ſei, war ich nicht
wenig ſtolz darauf, in meiner Abgeſchiedenheit
von ſelbſt darauf verfallen zu ſein, wie ich uͤber¬
haupt erfuhr, daß das Beduͤrfniß ſolche Huͤlfen
immer ſelbſt erfindet und die allgemeine Wahrheit
ſich in jedem abgeſchiedenen aber lebendigen Be¬
ſtreben Bahn bricht.

Erſt jetzt, als die erſte Begierde nach Staf¬
felei und umfangreichen Flaͤchen geſtillt war, ge¬
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[202/0212] ich eine ziemliche Uebung und begann den leben¬ digen Himmel zu verſtehen; ich ging leidenſchaft¬ lich den tauſend Reizen der Wolken nach, beſon¬ ders wandelten meine Blicke friedevoll durch die tiefen plaſtiſchen Thaͤler, uͤber die weißen Hoͤhen und um die ſonnigen Vorſpruͤnge und Abhaͤnge dieſer luftigen Gebirge herum, ſie ſchlichen ver¬ wegen unter der ſchattigen blauen Baſis hindurch, die ungeheure Ausdehnung in der ſcheinbaren Verkuͤrzung ermeſſend. Als ich ſpaͤter hoͤrte, daß dieſe Uebung allerdings ein ſehr eifrig gepflegter Weg landſchaftlicher Kunſt ſei, war ich nicht wenig ſtolz darauf, in meiner Abgeſchiedenheit von ſelbſt darauf verfallen zu ſein, wie ich uͤber¬ haupt erfuhr, daß das Beduͤrfniß ſolche Huͤlfen immer ſelbſt erfindet und die allgemeine Wahrheit ſich in jedem abgeſchiedenen aber lebendigen Be¬ ſtreben Bahn bricht. Erſt jetzt, als die erſte Begierde nach Staf¬ felei und umfangreichen Flaͤchen geſtillt war, ge¬ wann es neuen Reiz fuͤr mich, daneben kleine ſaubere und zierliche Arbeiten auszufuͤhren und ich hatte immer einen idylliſchen Gedanken in

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/212>, abgerufen am 23.11.2024.