hopsa! bald in hohen Fisteltönen, bald tief grol¬ lend, jetzt wie ein nächtlicher Feuerruf und dann wieder wie das Gelächter einer Lachtaube. Wäh¬ rend der Pfarrer predigte und ich Anna in Ge¬ danken aufmerksam und still dasitzen sah, nahm ich Papier und Feder und schrieb meine Gefühle für sie in feurigen Worten nieder. Ich erinnerte sie an die zärtliche Begebenheit auf dem Grabe der Großmutter, nannte sie mit ihrem Namen und brachte so häufig als möglich das Du an, welches ehedem zwischen uns gebräuchlich gewesen. Ich ward ganz beglückt über diesem Schreiben, hielt manchmal inne und fuhr dann in um so schöneren Worten wieder fort. Das Beste, was in meiner zufälligen und zerstreuten Bildung an¬ gesammelt lag, befreite sich hier und vermischte sich mit der Empfindung meiner augenblicklichen Lage. Ueberdies wob sich eine schwermüthige Stimmung durch das Ganze, und als das Blatt vollgeschrieben war, durchlas ich es mehrere Male, als ob ich damit jedes Wort der Anna in's Herz rufen könnte. Dann reizte es mich, das Blatt offen auf dem Tische liegen zu lassen und in den
hopſa! bald in hohen Fiſteltoͤnen, bald tief grol¬ lend, jetzt wie ein naͤchtlicher Feuerruf und dann wieder wie das Gelaͤchter einer Lachtaube. Waͤh¬ rend der Pfarrer predigte und ich Anna in Ge¬ danken aufmerkſam und ſtill daſitzen ſah, nahm ich Papier und Feder und ſchrieb meine Gefuͤhle fuͤr ſie in feurigen Worten nieder. Ich erinnerte ſie an die zaͤrtliche Begebenheit auf dem Grabe der Großmutter, nannte ſie mit ihrem Namen und brachte ſo haͤufig als moͤglich das Du an, welches ehedem zwiſchen uns gebraͤuchlich geweſen. Ich ward ganz begluͤckt uͤber dieſem Schreiben, hielt manchmal inne und fuhr dann in um ſo ſchoͤneren Worten wieder fort. Das Beſte, was in meiner zufaͤlligen und zerſtreuten Bildung an¬ geſammelt lag, befreite ſich hier und vermiſchte ſich mit der Empfindung meiner augenblicklichen Lage. Ueberdies wob ſich eine ſchwermuͤthige Stimmung durch das Ganze, und als das Blatt vollgeſchrieben war, durchlas ich es mehrere Male, als ob ich damit jedes Wort der Anna in's Herz rufen koͤnnte. Dann reizte es mich, das Blatt offen auf dem Tiſche liegen zu laſſen und in den
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hopſa! bald in hohen Fiſteltoͤnen, bald tief grol¬
lend, jetzt wie ein naͤchtlicher Feuerruf und dann
wieder wie das Gelaͤchter einer Lachtaube. Waͤh¬
rend der Pfarrer predigte und ich Anna in Ge¬
danken aufmerkſam und ſtill daſitzen ſah, nahm
ich Papier und Feder und ſchrieb meine Gefuͤhle
fuͤr ſie in feurigen Worten nieder. Ich erinnerte
ſie an die zaͤrtliche Begebenheit auf dem Grabe
der Großmutter, nannte ſie mit ihrem Namen
und brachte ſo haͤufig als moͤglich das Du an,
welches ehedem zwiſchen uns gebraͤuchlich geweſen.
Ich ward ganz begluͤckt uͤber dieſem Schreiben,
hielt manchmal inne und fuhr dann in um ſo
ſchoͤneren Worten wieder fort. Das Beſte, was
in meiner zufaͤlligen und zerſtreuten Bildung an¬
geſammelt lag, befreite ſich hier und vermiſchte
ſich mit der Empfindung meiner augenblicklichen
Lage. Ueberdies wob ſich eine ſchwermuͤthige
Stimmung durch das Ganze, und als das Blatt
vollgeſchrieben war, durchlas ich es mehrere Male,
als ob ich damit jedes Wort der Anna in's Herz
rufen koͤnnte. Dann reizte es mich, das Blatt
offen auf dem Tiſche liegen zu laſſen und in den
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/246>, abgerufen am 23.11.2024.
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