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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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menge kam, und ich war sehr verwundert, die
tollen Kinder so rührig und wehrbar zu finden.
Wenn ich eine junge Wilde mit aller Kraft um¬
faßt hielt, um sie zu bändigen, während sie mich
böslich zu schädigen suchte, so stritt ich ganz ehr¬
lich und tapfer, ohne irgend einen Nebenvortheil
zu suchen, und ich wußte gar nicht, daß ich ein
Mädchen in den Arm preßte. Solche Gefechte
geschahen immer in Anna's Abwesenheit: einst
aber entzündete sich der Streit in ihrer Gegen¬
wart, ohne daß man es gewollt hatte, sie suchte
sich schleunigst zu salviren, ich aber, der eben
hitzig einer Anderen nachstellte, um sie für eine
meuchlerische Bosheit zu bestrafen, kriegte plötz¬
lich Anna zu fassen und ließ erschrocken meine
Hände sinken.

So muthig ich an der Seite des Philosophen
war, um so kleinlauter war ich, wenn ich den
Mädchen allein gegenüber stand, denn alsdann
war keine Rettung, als Alles über sich ergehen
zu lassen. Der Philosoph fürchtete sich vor die¬
ser Feuertaufe nicht und tummelte sich manchmal
furchtlos in einer Hölle von zwölf jungen und

menge kam, und ich war ſehr verwundert, die
tollen Kinder ſo ruͤhrig und wehrbar zu finden.
Wenn ich eine junge Wilde mit aller Kraft um¬
faßt hielt, um ſie zu baͤndigen, waͤhrend ſie mich
boͤslich zu ſchaͤdigen ſuchte, ſo ſtritt ich ganz ehr¬
lich und tapfer, ohne irgend einen Nebenvortheil
zu ſuchen, und ich wußte gar nicht, daß ich ein
Maͤdchen in den Arm preßte. Solche Gefechte
geſchahen immer in Anna's Abweſenheit: einſt
aber entzuͤndete ſich der Streit in ihrer Gegen¬
wart, ohne daß man es gewollt hatte, ſie ſuchte
ſich ſchleunigſt zu ſalviren, ich aber, der eben
hitzig einer Anderen nachſtellte, um ſie fuͤr eine
meuchleriſche Bosheit zu beſtrafen, kriegte ploͤtz¬
lich Anna zu faſſen und ließ erſchrocken meine
Haͤnde ſinken.

So muthig ich an der Seite des Philoſophen
war, um ſo kleinlauter war ich, wenn ich den
Maͤdchen allein gegenuͤber ſtand, denn alsdann
war keine Rettung, als Alles uͤber ſich ergehen
zu laſſen. Der Philoſoph fuͤrchtete ſich vor die¬
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[263/0273] menge kam, und ich war ſehr verwundert, die tollen Kinder ſo ruͤhrig und wehrbar zu finden. Wenn ich eine junge Wilde mit aller Kraft um¬ faßt hielt, um ſie zu baͤndigen, waͤhrend ſie mich boͤslich zu ſchaͤdigen ſuchte, ſo ſtritt ich ganz ehr¬ lich und tapfer, ohne irgend einen Nebenvortheil zu ſuchen, und ich wußte gar nicht, daß ich ein Maͤdchen in den Arm preßte. Solche Gefechte geſchahen immer in Anna's Abweſenheit: einſt aber entzuͤndete ſich der Streit in ihrer Gegen¬ wart, ohne daß man es gewollt hatte, ſie ſuchte ſich ſchleunigſt zu ſalviren, ich aber, der eben hitzig einer Anderen nachſtellte, um ſie fuͤr eine meuchleriſche Bosheit zu beſtrafen, kriegte ploͤtz¬ lich Anna zu faſſen und ließ erſchrocken meine Haͤnde ſinken. So muthig ich an der Seite des Philoſophen war, um ſo kleinlauter war ich, wenn ich den Maͤdchen allein gegenuͤber ſtand, denn alsdann war keine Rettung, als Alles uͤber ſich ergehen zu laſſen. Der Philoſoph fuͤrchtete ſich vor die¬ ſer Feuertaufe nicht und tummelte ſich manchmal furchtlos in einer Hoͤlle von zwoͤlf jungen und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/273>, abgerufen am 23.11.2024.