Das Erste, was uns der Lehrer als christ¬ liches Erforderniß bezeichnete und worauf er eine weitläufige Wissenschaft gründete, war das Er¬ kennen und Bekennen der Sündhaftigkeit. Diese Lehre traf auf eine verwandte Richtung in mir, welche tief in meiner Natur begründet ist, wie in derjenigen jedes ordentlichen Menschen; sie be¬ steht darin, daß man jeden Augenblick sich selbst klaren Wein einschenken soll, nie und in keiner Weise sich einen blauen Dunst vormachen, son¬ dern das Unzulängliche und Fratzenhafte, das Schwache und Schlimme sich und Anderen offen eingestehen. Der natürliche Mensch betrachtet sich selbst als einen Theil vom Ganzen und darum ebenso unbefangen wie dieses oder einen anderen Theil desselben; daher darf er sich ebenso wichtig und erbaulich vorkommen, wie alles Andere, sich selbst unbedenklich hervorkehren, wenn er nur zu gleicher Zeit jedes kranke Pünktchen an sich selbst ebenso genau sieht und in's Licht setzt. Ferner muß man die besonderen Umstände seiner Fehler oder Vergehen in Betracht ziehen und die jedes¬
oder goͤttlichen Namen bezeichnet werden koͤnnte.
Das Erſte, was uns der Lehrer als chriſt¬ liches Erforderniß bezeichnete und worauf er eine weitlaͤufige Wiſſenſchaft gruͤndete, war das Er¬ kennen und Bekennen der Suͤndhaftigkeit. Dieſe Lehre traf auf eine verwandte Richtung in mir, welche tief in meiner Natur begruͤndet iſt, wie in derjenigen jedes ordentlichen Menſchen; ſie be¬ ſteht darin, daß man jeden Augenblick ſich ſelbſt klaren Wein einſchenken ſoll, nie und in keiner Weiſe ſich einen blauen Dunſt vormachen, ſon¬ dern das Unzulaͤngliche und Fratzenhafte, das Schwache und Schlimme ſich und Anderen offen eingeſtehen. Der natuͤrliche Menſch betrachtet ſich ſelbſt als einen Theil vom Ganzen und darum ebenſo unbefangen wie dieſes oder einen anderen Theil deſſelben; daher darf er ſich ebenſo wichtig und erbaulich vorkommen, wie alles Andere, ſich ſelbſt unbedenklich hervorkehren, wenn er nur zu gleicher Zeit jedes kranke Puͤnktchen an ſich ſelbſt ebenſo genau ſieht und in's Licht ſetzt. Ferner muß man die beſonderen Umſtaͤnde ſeiner Fehler oder Vergehen in Betracht ziehen und die jedes¬
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oder goͤttlichen Namen bezeichnet werden koͤnnte.
Das Erſte, was uns der Lehrer als chriſt¬
liches Erforderniß bezeichnete und worauf er eine
weitlaͤufige Wiſſenſchaft gruͤndete, war das Er¬
kennen und Bekennen der Suͤndhaftigkeit. Dieſe
Lehre traf auf eine verwandte Richtung in mir,
welche tief in meiner Natur begruͤndet iſt, wie
in derjenigen jedes ordentlichen Menſchen; ſie be¬
ſteht darin, daß man jeden Augenblick ſich ſelbſt
klaren Wein einſchenken ſoll, nie und in keiner
Weiſe ſich einen blauen Dunſt vormachen, ſon¬
dern das Unzulaͤngliche und Fratzenhafte, das
Schwache und Schlimme ſich und Anderen offen
eingeſtehen. Der natuͤrliche Menſch betrachtet ſich
ſelbſt als einen Theil vom Ganzen und darum
ebenſo unbefangen wie dieſes oder einen anderen
Theil deſſelben; daher darf er ſich ebenſo wichtig
und erbaulich vorkommen, wie alles Andere, ſich
ſelbſt unbedenklich hervorkehren, wenn er nur zu
gleicher Zeit jedes kranke Puͤnktchen an ſich ſelbſt
ebenſo genau ſieht und in's Licht ſetzt. Ferner
muß man die beſonderen Umſtaͤnde ſeiner Fehler
oder Vergehen in Betracht ziehen und die jedes¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/308>, abgerufen am 24.11.2024.
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