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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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also wohl sagen: ich will dies thun oder jenes
lassen, ich will gut sein oder mich darüber hin¬
wegsetzen, und ich kann durch Treue und Uebung
es vollführen; ich kann aber nie sagen: ich will
glauben oder nicht glauben; ich will mich einer
Wahrheit verschließen oder ich will mich ihr öffnen!
Ich kann nicht einmal bitten um Glauben, weil,
was ich nicht einsehe, mir niemals wünschbar sein
kann, weil ein klares Unglück, das ich begreife,
noch immer eine lebendige Luft zum Athmen für
mich ist, während eine Seligkeit, die ich nicht
begriffe, Stickluft für meine Seele wäre.

Dennoch liegt in dem Worte: der Glaube
macht selig! etwas Tiefes und Wahres, insofern
es das Gefühl unschuldiger und naiver Zufrieden¬
heit bezeichnet, welches alle Menschen umfängt,
wenn sie gern und leicht an das Gute, Schöne
und Merkwürdige glauben, gegenüber denjenigen,
welche aus Dünkel und Verbissenheit oder aus
Selbstsucht Alles in Frage stellen und bemäkeln,
was ihnen als gut, schön oder merkwürdig er¬
zählt wird. Wo das religiöse Glauben bei man¬
gelnder Ueberlegungskraft seinen Grund in jener

alſo wohl ſagen: ich will dies thun oder jenes
laſſen, ich will gut ſein oder mich daruͤber hin¬
wegſetzen, und ich kann durch Treue und Uebung
es vollfuͤhren; ich kann aber nie ſagen: ich will
glauben oder nicht glauben; ich will mich einer
Wahrheit verſchließen oder ich will mich ihr oͤffnen!
Ich kann nicht einmal bitten um Glauben, weil,
was ich nicht einſehe, mir niemals wuͤnſchbar ſein
kann, weil ein klares Ungluͤck, das ich begreife,
noch immer eine lebendige Luft zum Athmen fuͤr
mich iſt, waͤhrend eine Seligkeit, die ich nicht
begriffe, Stickluft fuͤr meine Seele waͤre.

Dennoch liegt in dem Worte: der Glaube
macht ſelig! etwas Tiefes und Wahres, inſofern
es das Gefuͤhl unſchuldiger und naiver Zufrieden¬
heit bezeichnet, welches alle Menſchen umfaͤngt,
wenn ſie gern und leicht an das Gute, Schoͤne
und Merkwuͤrdige glauben, gegenuͤber denjenigen,
welche aus Duͤnkel und Verbiſſenheit oder aus
Selbſtſucht Alles in Frage ſtellen und bemaͤkeln,
was ihnen als gut, ſchoͤn oder merkwuͤrdig er¬
zaͤhlt wird. Wo das religioͤſe Glauben bei man¬
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[304/0314] alſo wohl ſagen: ich will dies thun oder jenes laſſen, ich will gut ſein oder mich daruͤber hin¬ wegſetzen, und ich kann durch Treue und Uebung es vollfuͤhren; ich kann aber nie ſagen: ich will glauben oder nicht glauben; ich will mich einer Wahrheit verſchließen oder ich will mich ihr oͤffnen! Ich kann nicht einmal bitten um Glauben, weil, was ich nicht einſehe, mir niemals wuͤnſchbar ſein kann, weil ein klares Ungluͤck, das ich begreife, noch immer eine lebendige Luft zum Athmen fuͤr mich iſt, waͤhrend eine Seligkeit, die ich nicht begriffe, Stickluft fuͤr meine Seele waͤre. Dennoch liegt in dem Worte: der Glaube macht ſelig! etwas Tiefes und Wahres, inſofern es das Gefuͤhl unſchuldiger und naiver Zufrieden¬ heit bezeichnet, welches alle Menſchen umfaͤngt, wenn ſie gern und leicht an das Gute, Schoͤne und Merkwuͤrdige glauben, gegenuͤber denjenigen, welche aus Duͤnkel und Verbiſſenheit oder aus Selbſtſucht Alles in Frage ſtellen und bemaͤkeln, was ihnen als gut, ſchoͤn oder merkwuͤrdig er¬ zaͤhlt wird. Wo das religioͤſe Glauben bei man¬ gelnder Ueberlegungskraft ſeinen Grund in jener

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/314>, abgerufen am 25.11.2024.