eilen, aus diesem unerquicklichen Gebiete wieder zu den Gestalten des einfachen wirklichen Lebens zu gelangen.
Die dritte Hauptlehre, welche der Geistliche uns als christlich vortrug, handelte von der Liebe. Hier¬ über weiß ich nicht viel Worte zu machen; ich habe noch keine Liebe bethätigen können und doch fühle ich, daß solche in mir ist, daß ich aber auf Befehl und theoretisch nicht lieben kann. Inwiefern durch die stäte Wiederholung des Worts das Christenthum einen gewissen Bestand wirklicher Liebe in die Welt gebracht habe, wage ich nicht zu beurtheilen; doch dünkt es mich, es habe vor zweitausend Jahren auch Liebe gegeben und gebe auch jetzt noch, wo das Christenthum nicht hingelangt ist, wenn man nur die verschiedenen Formen unterscheiden will, in welche das wahre Gefühl sich hüllt. Gewiß ist schon mancher ein¬ zelne Unglücksmensch und mancher arme rauhe Volksstamm durch das eindringlich und heiß aus¬ gesprochene Wort Liebe aufgeweckt und einem hel¬ leren und schöneren Dasein gewonnen worden; wenn aber solche gewonnenen Völker, einmal dem
eilen, aus dieſem unerquicklichen Gebiete wieder zu den Geſtalten des einfachen wirklichen Lebens zu gelangen.
Die dritte Hauptlehre, welche der Geiſtliche uns als chriſtlich vortrug, handelte von der Liebe. Hier¬ uͤber weiß ich nicht viel Worte zu machen; ich habe noch keine Liebe bethaͤtigen koͤnnen und doch fuͤhle ich, daß ſolche in mir iſt, daß ich aber auf Befehl und theoretiſch nicht lieben kann. Inwiefern durch die ſtaͤte Wiederholung des Worts das Chriſtenthum einen gewiſſen Beſtand wirklicher Liebe in die Welt gebracht habe, wage ich nicht zu beurtheilen; doch duͤnkt es mich, es habe vor zweitauſend Jahren auch Liebe gegeben und gebe auch jetzt noch, wo das Chriſtenthum nicht hingelangt iſt, wenn man nur die verſchiedenen Formen unterſcheiden will, in welche das wahre Gefuͤhl ſich huͤllt. Gewiß iſt ſchon mancher ein¬ zelne Ungluͤcksmenſch und mancher arme rauhe Volksſtamm durch das eindringlich und heiß aus¬ geſprochene Wort Liebe aufgeweckt und einem hel¬ leren und ſchoͤneren Daſein gewonnen worden; wenn aber ſolche gewonnenen Voͤlker, einmal dem
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eilen, aus dieſem unerquicklichen Gebiete wieder
zu den Geſtalten des einfachen wirklichen Lebens
zu gelangen.
Die dritte Hauptlehre, welche der Geiſtliche uns
als chriſtlich vortrug, handelte von der Liebe. Hier¬
uͤber weiß ich nicht viel Worte zu machen; ich habe
noch keine Liebe bethaͤtigen koͤnnen und doch fuͤhle
ich, daß ſolche in mir iſt, daß ich aber auf Befehl
und theoretiſch nicht lieben kann. Inwiefern
durch die ſtaͤte Wiederholung des Worts das
Chriſtenthum einen gewiſſen Beſtand wirklicher
Liebe in die Welt gebracht habe, wage ich nicht
zu beurtheilen; doch duͤnkt es mich, es habe vor
zweitauſend Jahren auch Liebe gegeben und
gebe auch jetzt noch, wo das Chriſtenthum nicht
hingelangt iſt, wenn man nur die verſchiedenen
Formen unterſcheiden will, in welche das wahre
Gefuͤhl ſich huͤllt. Gewiß iſt ſchon mancher ein¬
zelne Ungluͤcksmenſch und mancher arme rauhe
Volksſtamm durch das eindringlich und heiß aus¬
geſprochene Wort Liebe aufgeweckt und einem hel¬
leren und ſchoͤneren Daſein gewonnen worden;
wenn aber ſolche gewonnenen Voͤlker, einmal dem
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/327>, abgerufen am 26.11.2024.
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