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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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und seinen Namen behaupten werde; etwas Besse¬
res sei einmal nicht da, noch abzusehen. Hierauf
erwiederte ich aber: der Geist könne wohl durch ei¬
nen Menschen leidlich schön ausgesprochen, niemals
aber erfunden werden, da er von jeher und un¬
endlich sei; daher die Bezeichnung der Wahrheit
mit einem Menschennamen ein Raub am unend¬
lichen
Gemeingute sei, aus welchem der fortgesetzte
Raub des Autoritäts- und Pfaffenwesens aller
Art entspringe. In einer Republik, sagte ich,
fordere man das Größte und Beste von jedem
Bürger, ohne ihm durch den Untergang der Re¬
publik zu vergelten, indem man seinen Namen
an die Spitze pflanze und ihn zum Fürsten er¬
hebe; ebenso betrachte ich die Welt der Geister
als eine Republik, die nur Gott als Protector
über sich habe, dessen Majestät in vollkommener
Freiheit das Gesetz heilig hielte, das er gegeben,
und diese Freiheit sei auch unsere Freiheit, und
unsere die seinige! Und wenn mir jede Abendwolke
eine Fahne der Unsterblichkeit, so sei mir auch
jede Morgenwolke die goldene Fahne der Weltre¬
publik! "In welcher Jeder Fähndrich werden

II. 21

und ſeinen Namen behaupten werde; etwas Beſſe¬
res ſei einmal nicht da, noch abzuſehen. Hierauf
erwiederte ich aber: der Geiſt koͤnne wohl durch ei¬
nen Menſchen leidlich ſchoͤn ausgeſprochen, niemals
aber erfunden werden, da er von jeher und un¬
endlich ſei; daher die Bezeichnung der Wahrheit
mit einem Menſchennamen ein Raub am unend¬
lichen
Gemeingute ſei, aus welchem der fortgeſetzte
Raub des Autoritaͤts- und Pfaffenweſens aller
Art entſpringe. In einer Republik, ſagte ich,
fordere man das Groͤßte und Beſte von jedem
Buͤrger, ohne ihm durch den Untergang der Re¬
publik zu vergelten, indem man ſeinen Namen
an die Spitze pflanze und ihn zum Fuͤrſten er¬
hebe; ebenſo betrachte ich die Welt der Geiſter
als eine Republik, die nur Gott als Protector
uͤber ſich habe, deſſen Majeſtaͤt in vollkommener
Freiheit das Geſetz heilig hielte, das er gegeben,
und dieſe Freiheit ſei auch unſere Freiheit, und
unſere die ſeinige! Und wenn mir jede Abendwolke
eine Fahne der Unſterblichkeit, ſo ſei mir auch
jede Morgenwolke die goldene Fahne der Weltre¬
publik! »In welcher Jeder Faͤhndrich werden

II. 21
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[321/0331] und ſeinen Namen behaupten werde; etwas Beſſe¬ res ſei einmal nicht da, noch abzuſehen. Hierauf erwiederte ich aber: der Geiſt koͤnne wohl durch ei¬ nen Menſchen leidlich ſchoͤn ausgeſprochen, niemals aber erfunden werden, da er von jeher und un¬ endlich ſei; daher die Bezeichnung der Wahrheit mit einem Menſchennamen ein Raub am unend¬ lichen Gemeingute ſei, aus welchem der fortgeſetzte Raub des Autoritaͤts- und Pfaffenweſens aller Art entſpringe. In einer Republik, ſagte ich, fordere man das Groͤßte und Beſte von jedem Buͤrger, ohne ihm durch den Untergang der Re¬ publik zu vergelten, indem man ſeinen Namen an die Spitze pflanze und ihn zum Fuͤrſten er¬ hebe; ebenſo betrachte ich die Welt der Geiſter als eine Republik, die nur Gott als Protector uͤber ſich habe, deſſen Majeſtaͤt in vollkommener Freiheit das Geſetz heilig hielte, das er gegeben, und dieſe Freiheit ſei auch unſere Freiheit, und unſere die ſeinige! Und wenn mir jede Abendwolke eine Fahne der Unſterblichkeit, ſo ſei mir auch jede Morgenwolke die goldene Fahne der Weltre¬ publik! »In welcher Jeder Faͤhndrich werden II. 21

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/331>, abgerufen am 26.11.2024.