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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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das Ende rückte und mir die Freiheit winkte,
desto trefflicher fand ich die Predigt, und ich
nannte in meinem Herzen den Pfarrer einen wa¬
ckeren Mann. Meine Stimmung ward immer
heiterer, endlich wurde das Nachtmahl genom¬
men; aufmerksam verfolgte ich die Zurüstungen
und beobachtete Alles sehr genau, um es nicht zu
vergessen; denn ich gedachte nicht mehr dabei zu
erscheinen. Das Brot besteht aus weißen Blättern
von der Größe und Dicke einer Karte und sieht
feinem glänzendem Papiere ähnlich. Der Küster
backt es und die Kinder kaufen sich bei ihm die
Abfälle als einen unschuldigen Leckerbissen, und
ich selbst hatte mir manchmal eine Mütze voll er¬
worben und mich gewundert, daß man eigent¬
lich doch nichts daran äße. Zahlreiche Kirchen¬
diener bieten es aus, den Reihen entlang, worauf
die Andächtigen eine Ecke davon brechen und die
Blätter weitergeben, während andere Beamtete
den Wein in hölzernen Bechern nachfolgen las¬
sen. Manche Leute, besonders die Frauen und
Mädchen, behalten gern ein Blättchen zurück, um
es andächtig in ihr Gesangbuch zu legen. Auf

das Ende ruͤckte und mir die Freiheit winkte,
deſto trefflicher fand ich die Predigt, und ich
nannte in meinem Herzen den Pfarrer einen wa¬
ckeren Mann. Meine Stimmung ward immer
heiterer, endlich wurde das Nachtmahl genom¬
men; aufmerkſam verfolgte ich die Zuruͤſtungen
und beobachtete Alles ſehr genau, um es nicht zu
vergeſſen; denn ich gedachte nicht mehr dabei zu
erſcheinen. Das Brot beſteht aus weißen Blaͤttern
von der Groͤße und Dicke einer Karte und ſieht
feinem glaͤnzendem Papiere aͤhnlich. Der Kuͤſter
backt es und die Kinder kaufen ſich bei ihm die
Abfaͤlle als einen unſchuldigen Leckerbiſſen, und
ich ſelbſt hatte mir manchmal eine Muͤtze voll er¬
worben und mich gewundert, daß man eigent¬
lich doch nichts daran aͤße. Zahlreiche Kirchen¬
diener bieten es aus, den Reihen entlang, worauf
die Andaͤchtigen eine Ecke davon brechen und die
Blaͤtter weitergeben, waͤhrend andere Beamtete
den Wein in hoͤlzernen Bechern nachfolgen laſ¬
ſen. Manche Leute, beſonders die Frauen und
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[331/0341] das Ende ruͤckte und mir die Freiheit winkte, deſto trefflicher fand ich die Predigt, und ich nannte in meinem Herzen den Pfarrer einen wa¬ ckeren Mann. Meine Stimmung ward immer heiterer, endlich wurde das Nachtmahl genom¬ men; aufmerkſam verfolgte ich die Zuruͤſtungen und beobachtete Alles ſehr genau, um es nicht zu vergeſſen; denn ich gedachte nicht mehr dabei zu erſcheinen. Das Brot beſteht aus weißen Blaͤttern von der Groͤße und Dicke einer Karte und ſieht feinem glaͤnzendem Papiere aͤhnlich. Der Kuͤſter backt es und die Kinder kaufen ſich bei ihm die Abfaͤlle als einen unſchuldigen Leckerbiſſen, und ich ſelbſt hatte mir manchmal eine Muͤtze voll er¬ worben und mich gewundert, daß man eigent¬ lich doch nichts daran aͤße. Zahlreiche Kirchen¬ diener bieten es aus, den Reihen entlang, worauf die Andaͤchtigen eine Ecke davon brechen und die Blaͤtter weitergeben, waͤhrend andere Beamtete den Wein in hoͤlzernen Bechern nachfolgen laſ¬ ſen. Manche Leute, beſonders die Frauen und Maͤdchen, behalten gern ein Blaͤttchen zuruͤck, um es andaͤchtig in ihr Geſangbuch zu legen. Auf

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/341>, abgerufen am 27.11.2024.