Er holte eine uralte Mappe herbei, welche mit einer ansehnlichen Schnur umwickelt war, und indem er sie öffnete, sagte er: "Ich habe bei Gott diese Dinge längst vergessen, ich seh' sie selbst einmal gern wieder! Der gute Junker Fe¬ lix liegt in Rom begraben, schon manches lange Jahr; er war ein alter Junggesell, trug gepuderte Haare und ein Zöpfchen noch anfangs der zwan¬ ziger Jahre; er malte und radirte den ganzen Tag, ausgenommen im Herbste, wo er mit uns jagte. Damals, zu Anfang der zwanziger Jahre, kamen ein paar junge Herren aus Italien zurück, worunter ein Malergenie. Diese Bursche mach¬ ten einen Teufelslärm und behaupteten, die ganze alte Kunst sei verkommen und würde eben jetzt in Rom wiedergeboren von deutschen Männern. Al¬ les was vom Ende des vorigen Jahrhunderts her datire, das Geschwätz des sogenannten Göthe von Hackert, Tischbein u. dgl. das sei Alles Lum¬ perei, eine neue Zeit sei angebrochen. Diese Re¬ densarten störten meinen armen Felix urplötzlich in seinem bisherigen Lebensfrieden; umsonst such¬ ten ihn seine alten Künstlerfreunde, mit denen er
Er holte eine uralte Mappe herbei, welche mit einer anſehnlichen Schnur umwickelt war, und indem er ſie oͤffnete, ſagte er: »Ich habe bei Gott dieſe Dinge laͤngſt vergeſſen, ich ſeh' ſie ſelbſt einmal gern wieder! Der gute Junker Fe¬ lix liegt in Rom begraben, ſchon manches lange Jahr; er war ein alter Junggeſell, trug gepuderte Haare und ein Zoͤpfchen noch anfangs der zwan¬ ziger Jahre; er malte und radirte den ganzen Tag, ausgenommen im Herbſte, wo er mit uns jagte. Damals, zu Anfang der zwanziger Jahre, kamen ein paar junge Herren aus Italien zuruͤck, worunter ein Malergenie. Dieſe Burſche mach¬ ten einen Teufelslaͤrm und behaupteten, die ganze alte Kunſt ſei verkommen und wuͤrde eben jetzt in Rom wiedergeboren von deutſchen Maͤnnern. Al¬ les was vom Ende des vorigen Jahrhunderts her datire, das Geſchwaͤtz des ſogenannten Goͤthe von Hackert, Tiſchbein u. dgl. das ſei Alles Lum¬ perei, eine neue Zeit ſei angebrochen. Dieſe Re¬ densarten ſtoͤrten meinen armen Felix urploͤtzlich in ſeinem bisherigen Lebensfrieden; umſonſt ſuch¬ ten ihn ſeine alten Kuͤnſtlerfreunde, mit denen er
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Er holte eine uralte Mappe herbei, welche
mit einer anſehnlichen Schnur umwickelt war,
und indem er ſie oͤffnete, ſagte er: »Ich habe
bei Gott dieſe Dinge laͤngſt vergeſſen, ich ſeh' ſie
ſelbſt einmal gern wieder! Der gute Junker Fe¬
lix liegt in Rom begraben, ſchon manches lange
Jahr; er war ein alter Junggeſell, trug gepuderte
Haare und ein Zoͤpfchen noch anfangs der zwan¬
ziger Jahre; er malte und radirte den ganzen
Tag, ausgenommen im Herbſte, wo er mit uns
jagte. Damals, zu Anfang der zwanziger Jahre,
kamen ein paar junge Herren aus Italien zuruͤck,
worunter ein Malergenie. Dieſe Burſche mach¬
ten einen Teufelslaͤrm und behaupteten, die ganze
alte Kunſt ſei verkommen und wuͤrde eben jetzt in
Rom wiedergeboren von deutſchen Maͤnnern. Al¬
les was vom Ende des vorigen Jahrhunderts
her datire, das Geſchwaͤtz des ſogenannten Goͤthe
von Hackert, Tiſchbein u. dgl. das ſei Alles Lum¬
perei, eine neue Zeit ſei angebrochen. Dieſe Re¬
densarten ſtoͤrten meinen armen Felix urploͤtzlich
in ſeinem bisherigen Lebensfrieden; umſonſt ſuch¬
ten ihn ſeine alten Kuͤnſtlerfreunde, mit denen er
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/37>, abgerufen am 21.11.2024.
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