sondern mehr wie die Reden in einer Volksver¬ sammlung, laut, eintönig und etwas singend, da es doch Verse waren; man konnte sie auf dem ganzen Platze vernehmen, und wenn Jemand, ein¬ geschüchtert, nicht verstanden wurde, so rief das Volk: "lauter, lauter!" und war höchst zufrieden, die Stelle noch einmal zu hören, ohne sich die Illusion stören zu lassen. So erging es auch mir, als ich Einiges zu sprechen hatte; ich wurde aber glücklicher Weise durch einen komischen Vor¬ gang unterbrochen. Es trieben sich nämlich ein Dutzend Vermummte der alten Sorte herum, arme Teufel, welche weiße Hemden über ihre ärmlichen Kleider gezogen hatten, ganz mit bun¬ ten Läppchen besetzt, auf dem Kopfe trugen sie hohe kegelförmige Papiermützen, mit Fratzen be¬ malt und vor dem Gesicht ein durchlöchertes Tuch. Dieser Anzug war sonst die allgemeine Vermum¬ mung gewesen zur Fastnachtszeit und in derselben allerlei Späße getrieben worden; er scheint von der löblichen Tracht herzurühren, in welcher einst die verurtheilten Ketzer verhöhnt wurden und welche nachher in den Fastnachtsspielen sich er¬
ſondern mehr wie die Reden in einer Volksver¬ ſammlung, laut, eintoͤnig und etwas ſingend, da es doch Verſe waren; man konnte ſie auf dem ganzen Platze vernehmen, und wenn Jemand, ein¬ geſchuͤchtert, nicht verſtanden wurde, ſo rief das Volk: »lauter, lauter!« und war hoͤchſt zufrieden, die Stelle noch einmal zu hoͤren, ohne ſich die Illuſion ſtoͤren zu laſſen. So erging es auch mir, als ich Einiges zu ſprechen hatte; ich wurde aber gluͤcklicher Weiſe durch einen komiſchen Vor¬ gang unterbrochen. Es trieben ſich naͤmlich ein Dutzend Vermummte der alten Sorte herum, arme Teufel, welche weiße Hemden uͤber ihre aͤrmlichen Kleider gezogen hatten, ganz mit bun¬ ten Laͤppchen beſetzt, auf dem Kopfe trugen ſie hohe kegelfoͤrmige Papiermuͤtzen, mit Fratzen be¬ malt und vor dem Geſicht ein durchloͤchertes Tuch. Dieſer Anzug war ſonſt die allgemeine Vermum¬ mung geweſen zur Faſtnachtszeit und in derſelben allerlei Spaͤße getrieben worden; er ſcheint von der loͤblichen Tracht herzuruͤhren, in welcher einſt die verurtheilten Ketzer verhoͤhnt wurden und welche nachher in den Faſtnachtsſpielen ſich er¬
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ſondern mehr wie die Reden in einer Volksver¬
ſammlung, laut, eintoͤnig und etwas ſingend, da
es doch Verſe waren; man konnte ſie auf dem
ganzen Platze vernehmen, und wenn Jemand, ein¬
geſchuͤchtert, nicht verſtanden wurde, ſo rief das
Volk: »lauter, lauter!« und war hoͤchſt zufrieden,
die Stelle noch einmal zu hoͤren, ohne ſich die
Illuſion ſtoͤren zu laſſen. So erging es auch
mir, als ich Einiges zu ſprechen hatte; ich wurde
aber gluͤcklicher Weiſe durch einen komiſchen Vor¬
gang unterbrochen. Es trieben ſich naͤmlich ein
Dutzend Vermummte der alten Sorte herum,
arme Teufel, welche weiße Hemden uͤber ihre
aͤrmlichen Kleider gezogen hatten, ganz mit bun¬
ten Laͤppchen beſetzt, auf dem Kopfe trugen ſie
hohe kegelfoͤrmige Papiermuͤtzen, mit Fratzen be¬
malt und vor dem Geſicht ein durchloͤchertes Tuch.
Dieſer Anzug war ſonſt die allgemeine Vermum¬
mung geweſen zur Faſtnachtszeit und in derſelben
allerlei Spaͤße getrieben worden; er ſcheint von
der loͤblichen Tracht herzuruͤhren, in welcher einſt
die verurtheilten Ketzer verhoͤhnt wurden und
welche nachher in den Faſtnachtsſpielen ſich er¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/372>, abgerufen am 23.11.2024.
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