diese ganze mächtige Volksschaft zu sehr und fühlte mich nur unbedeutend und unnütz in die¬ sem Augenblicke. Betrübt erhob ich mich von meinem Sitze, wo ich zufällig zwischen zwei fremde Personen gerathen war, und schlenderte um die Tische herum, meine Vettern und Basen aufsuchend, die sich im vollen Jubel befanden. Sie waren zu sehr mit ihrer Freude beschäftigt, als daß sie meinen Trübsinn hätten bemerken können, und ich war nahe daran, in das empfind¬ same Mitleid mit mir selbst, das ich in früheren Tagen gekannt, zu verfallen, als Margot, die Braut, welche in stiller Glückseligkeit neben dem Müller saß, mich heranwinkte, mit freudestrah¬ lenden und doch theilnehmenden Augen fragte, warum ich mich so einsam und düster umher¬ treibe, mich mit ungewohnter Herzlichkeit beim Arme nahm und an ihrem Stuhle festhielt. Ich hätte sie aus Dankbarkeit umhalsen und küssen mögen, zumal sie mir so schön und liebenswürdig vorkam, wie früher nie. Eine Braut zur Be¬ schützerin zu haben, schien mir halb gewonnenes Spiel. Ich empfand sogleich eine warme und
dieſe ganze maͤchtige Volksſchaft zu ſehr und fuͤhlte mich nur unbedeutend und unnuͤtz in die¬ ſem Augenblicke. Betruͤbt erhob ich mich von meinem Sitze, wo ich zufaͤllig zwiſchen zwei fremde Perſonen gerathen war, und ſchlenderte um die Tiſche herum, meine Vettern und Baſen aufſuchend, die ſich im vollen Jubel befanden. Sie waren zu ſehr mit ihrer Freude beſchaͤftigt, als daß ſie meinen Truͤbſinn haͤtten bemerken koͤnnen, und ich war nahe daran, in das empfind¬ ſame Mitleid mit mir ſelbſt, das ich in fruͤheren Tagen gekannt, zu verfallen, als Margot, die Braut, welche in ſtiller Gluͤckſeligkeit neben dem Muͤller ſaß, mich heranwinkte, mit freudeſtrah¬ lenden und doch theilnehmenden Augen fragte, warum ich mich ſo einſam und duͤſter umher¬ treibe, mich mit ungewohnter Herzlichkeit beim Arme nahm und an ihrem Stuhle feſthielt. Ich haͤtte ſie aus Dankbarkeit umhalſen und kuͤſſen moͤgen, zumal ſie mir ſo ſchoͤn und liebenswuͤrdig vorkam, wie fruͤher nie. Eine Braut zur Be¬ ſchuͤtzerin zu haben, ſchien mir halb gewonnenes Spiel. Ich empfand ſogleich eine warme und
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dieſe ganze maͤchtige Volksſchaft zu ſehr und
fuͤhlte mich nur unbedeutend und unnuͤtz in die¬
ſem Augenblicke. Betruͤbt erhob ich mich von
meinem Sitze, wo ich zufaͤllig zwiſchen zwei
fremde Perſonen gerathen war, und ſchlenderte
um die Tiſche herum, meine Vettern und Baſen
aufſuchend, die ſich im vollen Jubel befanden.
Sie waren zu ſehr mit ihrer Freude beſchaͤftigt,
als daß ſie meinen Truͤbſinn haͤtten bemerken
koͤnnen, und ich war nahe daran, in das empfind¬
ſame Mitleid mit mir ſelbſt, das ich in fruͤheren
Tagen gekannt, zu verfallen, als Margot, die
Braut, welche in ſtiller Gluͤckſeligkeit neben dem
Muͤller ſaß, mich heranwinkte, mit freudeſtrah¬
lenden und doch theilnehmenden Augen fragte,
warum ich mich ſo einſam und duͤſter umher¬
treibe, mich mit ungewohnter Herzlichkeit beim
Arme nahm und an ihrem Stuhle feſthielt. Ich
haͤtte ſie aus Dankbarkeit umhalſen und kuͤſſen
moͤgen, zumal ſie mir ſo ſchoͤn und liebenswuͤrdig
vorkam, wie fruͤher nie. Eine Braut zur Be¬
ſchuͤtzerin zu haben, ſchien mir halb gewonnenes
Spiel. Ich empfand ſogleich eine warme und
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/383>, abgerufen am 23.11.2024.
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