Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

geistlichen Studien aufgewachsen, dieses Alles
hinter sich geworfen und vergessen hatte, um sich
ganz der braunen Ackererde und dem wilden
Forste hinzugeben, strebte Jener, von bäuerischem
Herkommen und dürftiger Bildung, allein nach
milden und feinen Sitten, nach dem Leben und
Ruhme eines Weisen und Gerechten, und vertiefte
sich in beschauliche geistliche und philosophische
Spekulationen, betrachtete die Natur nach An¬
leitung allerlei seltsamer Bücher, und freute sich,
vernünftige Gespräche anzuknüpfen, so oft sich
hierzu die Gelegenheit bot, wobei er eine große
Artigkeit zu entfalten bestrebt war. Sein Töch¬
terchen, ungefähr von vierzehn Jahren, lebte still
und fein in dem milden Lichte solcher Gesinnungs¬
weise, und stellte nach den Wünschen ihres Va¬
ters eher ein zartes Pfarrerskind vor, denn eine
Landmannstochter, indessen die weibliche Nach¬
kommenschaft meines Oheims, zur derben Arbeit
gehalten, einen starken Anhauch von Regen und
Sonnenschein zeigte, welcher sie aber viel eher
zierte als entstellte und dem Glanze ihrer frischen
Augen entsprach.

geiſtlichen Studien aufgewachſen, dieſes Alles
hinter ſich geworfen und vergeſſen hatte, um ſich
ganz der braunen Ackererde und dem wilden
Forſte hinzugeben, ſtrebte Jener, von baͤueriſchem
Herkommen und duͤrftiger Bildung, allein nach
milden und feinen Sitten, nach dem Leben und
Ruhme eines Weiſen und Gerechten, und vertiefte
ſich in beſchauliche geiſtliche und philoſophiſche
Spekulationen, betrachtete die Natur nach An¬
leitung allerlei ſeltſamer Buͤcher, und freute ſich,
vernuͤnftige Geſpraͤche anzuknuͤpfen, ſo oft ſich
hierzu die Gelegenheit bot, wobei er eine große
Artigkeit zu entfalten beſtrebt war. Sein Toͤch¬
terchen, ungefaͤhr von vierzehn Jahren, lebte ſtill
und fein in dem milden Lichte ſolcher Geſinnungs¬
weiſe, und ſtellte nach den Wuͤnſchen ihres Va¬
ters eher ein zartes Pfarrerskind vor, denn eine
Landmannstochter, indeſſen die weibliche Nach¬
kommenſchaft meines Oheims, zur derben Arbeit
gehalten, einen ſtarken Anhauch von Regen und
Sonnenſchein zeigte, welcher ſie aber viel eher
zierte als entſtellte und dem Glanze ihrer friſchen
Augen entſprach.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="52"/>
gei&#x017F;tlichen Studien aufgewach&#x017F;en, die&#x017F;es Alles<lb/>
hinter &#x017F;ich geworfen und verge&#x017F;&#x017F;en hatte, um &#x017F;ich<lb/>
ganz der braunen Ackererde und dem wilden<lb/>
For&#x017F;te hinzugeben, &#x017F;trebte Jener, von ba&#x0364;ueri&#x017F;chem<lb/>
Herkommen und du&#x0364;rftiger Bildung, allein nach<lb/>
milden und feinen Sitten, nach dem Leben und<lb/>
Ruhme eines Wei&#x017F;en und Gerechten, und vertiefte<lb/>
&#x017F;ich in be&#x017F;chauliche gei&#x017F;tliche und philo&#x017F;ophi&#x017F;che<lb/>
Spekulationen, betrachtete die Natur nach An¬<lb/>
leitung allerlei &#x017F;elt&#x017F;amer Bu&#x0364;cher, und freute &#x017F;ich,<lb/>
vernu&#x0364;nftige Ge&#x017F;pra&#x0364;che anzuknu&#x0364;pfen, &#x017F;o oft &#x017F;ich<lb/>
hierzu die Gelegenheit bot, wobei er eine große<lb/>
Artigkeit zu entfalten be&#x017F;trebt war. Sein To&#x0364;ch¬<lb/>
terchen, ungefa&#x0364;hr von vierzehn Jahren, lebte &#x017F;till<lb/>
und fein in dem milden Lichte &#x017F;olcher Ge&#x017F;innungs¬<lb/>
wei&#x017F;e, und &#x017F;tellte nach den Wu&#x0364;n&#x017F;chen ihres Va¬<lb/>
ters eher ein zartes Pfarrerskind vor, denn eine<lb/>
Landmannstochter, inde&#x017F;&#x017F;en die weibliche Nach¬<lb/>
kommen&#x017F;chaft meines Oheims, zur derben Arbeit<lb/>
gehalten, einen &#x017F;tarken Anhauch von Regen und<lb/>
Sonnen&#x017F;chein zeigte, welcher &#x017F;ie aber viel eher<lb/>
zierte als ent&#x017F;tellte und dem Glanze ihrer fri&#x017F;chen<lb/>
Augen ent&#x017F;prach.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0062] geiſtlichen Studien aufgewachſen, dieſes Alles hinter ſich geworfen und vergeſſen hatte, um ſich ganz der braunen Ackererde und dem wilden Forſte hinzugeben, ſtrebte Jener, von baͤueriſchem Herkommen und duͤrftiger Bildung, allein nach milden und feinen Sitten, nach dem Leben und Ruhme eines Weiſen und Gerechten, und vertiefte ſich in beſchauliche geiſtliche und philoſophiſche Spekulationen, betrachtete die Natur nach An¬ leitung allerlei ſeltſamer Buͤcher, und freute ſich, vernuͤnftige Geſpraͤche anzuknuͤpfen, ſo oft ſich hierzu die Gelegenheit bot, wobei er eine große Artigkeit zu entfalten beſtrebt war. Sein Toͤch¬ terchen, ungefaͤhr von vierzehn Jahren, lebte ſtill und fein in dem milden Lichte ſolcher Geſinnungs¬ weiſe, und ſtellte nach den Wuͤnſchen ihres Va¬ ters eher ein zartes Pfarrerskind vor, denn eine Landmannstochter, indeſſen die weibliche Nach¬ kommenſchaft meines Oheims, zur derben Arbeit gehalten, einen ſtarken Anhauch von Regen und Sonnenſchein zeigte, welcher ſie aber viel eher zierte als entſtellte und dem Glanze ihrer friſchen Augen entſprach.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/62
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/62>, abgerufen am 04.12.2024.